Verruchte Nächte - One Night with a Spy (03 Royal-Four)
genug Zeit.«
Sie weinte nun, die Tränen rannen ihr unbemerkt übers Gesicht.
»Nein! Wir können - wir können …« Sie hielt inne, hatte keine Ideen mehr. Sie verlor die Fassung und lehnte sich
Halt suchend an Miels weißen Hals. Dann warf sie den Kopf in den Nacken. »Sebastian, bei Fuß!«
Der Löwe stieß ein Brüllen aus, das dem seiner Herrin nicht unähnlich war, und die Wand erbebte wie nie zuvor. Marcus sah, dass die Öffnung sich wie durch ein Wunder wieder etwas vergrößert hatte.
Er gab Elliot seine Zügel. »Bei drei ziehen!« Dann rannte er zum Stall und kletterte auf das Gebälk.
»Marcus, nicht!«, rief Julia ihm nach. »Sebastian ist in Panik! Er wird nicht wissen, was er tut.«
Marcus schwang ein Bein über den Giebel und stützte sich mit dem anderen Fuß gegen den noch immer stabilen Teil der Wand. Er griff in die Öffnung und machte sich bereit zu ziehen. »Eins! Zwei!«
»Nein, Marcus, nicht!« In Julias Stimme schwang echte Angst. »Lass es!«
Eine riesige Tatze zwängte sich durch die Öffnung, nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. »Bei Gott, du frisst mich besser nicht auf, du verhätschelter Teppich!«, knurrte er. Dann holte er tief Luft. »Drei!«
Sekundenlang passierte gar nichts. Dann löste sich irgendwo in der Wand ein einzelner Nagel und Marcus spürte, wie alles gleichzeitig nachgab. Er sprang mit aller Kraft ab, hoffte, so der einstürzenden Wand und dem befreiten Löwen zu entgehen, aber es war zwecklos.
Julia schrie verzweifelt auf: »Marcus!«
Die Wand stürzte ein, begrub sein Bein unter sich. Der harte Aufprall presste alle Luft aus seiner Lunge, dann war es der Schmerz in seinem Bein, der ihm den Atem nahm. Eine halbe Ewigkeit lang lag er, unfähig zu atmen, auf dem Rücken.
Über ihm, ja fast auf ihm, stand der Löwe auf der eingestürzten Wand und brüllte so laut, dass er damit Westminster Palace hätte zum Einsturz bringen können.
Und dann, in jenem Moment absoluter Stille, nachdem das Brüllen des Löwen selbst die Insekten so weit eingeschüchtert hatte, dass sie keinen Ton von sich gaben, setzte Marcus’ Atem pfeifend wieder ein.
Die bereits völlig verstörte Raubkatze zuckte erschreckt zusammen, dann warf sie den mächtigen Kopf herum und starrte Marcus mit vor Schreck irrem Blick an.
Süßes Kätzchen. Es wäre eine herrlich unbeschwerte Bemerkung, die der Welt beweisen würde, dass er sich durch nichts aus der Fassung bringen ließe, aber tatsächlich war Marcus vor Angst wie gelähmt und brachte nur ein Stottern über die Lippen. »S-ss-«
Sebastian schnüffelte ausgiebig an ihm herum, dann schnaubte er und stieß Marcus einen Schwall Ekel erregenden Raubtieratems und einen wahren Spuckeregen ins Gesicht. Marcus wagte es nicht einmal, sich die Lippen abzuwischen.
»Sebastian.« Julias beruhigende Stimme war viel zu nah. »Sebastian, Schatz, komm da weg.«
Marcus warf den Kopf herum und sah sie an. »Geh. Weg.«
Der Löwe knurrte bei Marcus’ gezischtem Befehl. Dann brach irgendetwas im Innern des Stalls zusammen, und ein sengender, funkenfliegender Hitzeschwall drang aus der Öffnung. Der Löwe sprang von der eingestürzten Wand und setzte in die einsetzende Dunkelheit davon, als wären ihm tausend Höllenhunde auf den Fersen.
Elliot und Julia rannten zu ihm. »Marcus!« Sie kniete sich neben ihn. »Wie schwer seid Ihr verletzt?«
»Wischt mir das Gesicht ab! Wischt mir das Gesicht ab!«
Sie tat es mit ihrem Ärmel, den sie sich über die Hand gezogen hatte, und lachte dabei schniefend. »Seid nicht so ein Baby, Marcus. Es ist doch nur ein bisschen Löwensabber.«
Es gelang Elliot, die Bretterwand ein Stückchen anzuheben, und Julia half Marcus dabei, rückwärts darunter herauszukriechen. Während er davonhumpelte, auf beiden Seiten von Elliot und Julia gestützt, fühlte Marcus in seinem Rücken, wie das Feuer sich in dem Raum, in dem eben noch Seine Abscheulichkeit residiert hatte, ausbreitete.
»Das Vieh ist mir etwas schuldig«, informierte er Julia.
Sie lächelte ihn dankbar an und gab ihm damit das Gefühl, ein Riese zu sein. »Das sind wir beide.«
»Ich mag Fellteppiche«, sagte er. »Große haarige gelbe.«
Sie lachte und stieß ihm in die Rippen. »Seid nett. Es ist nicht seine Schuld. Er hatte nur so große Angst.« Sie seufzte und blickte über die Schulter in die Dunkelheit.
»Er kommt zurück«, sagte Marcus.
Sie drehte sich wieder um und schaute mit sorgenvollem Blick zu ihm auf. »Meint Ihr?«
Marcus
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