Verrückte Lust
hingestreckt, reglos, betäubt, und nur die Muskeln zuckten unter der feuchten Hülle der Haut.
3
Jeden Morgen fuhr eine Dampforgel auf einem mit einer Plane zugedeckten Wagen vorbei und erfüllte das Haus mit
sinnlichen Lauten. Und jeden Morgen sprang Vanya,
wutentbrannt über die Monotonie dieser langgezogenen Klage, fluchend aus dem Bett und lief durch die Zimmer wie ein Wasserbüffel, der einem Regenbogen nachjagt. Hildred warf sich im Schlaf hin und her und stöhnte oder murmelte
unvollständige Sätze, weil sie von purpurroten Hippogryphen träumte, die durch das Dach fielen. Jeden Morgen beugte Tony Bring sich über sie und küßte sie, während sie zuckte und sich wälzte, und jedesmal, wenn er die ernste, morbide Schönheit ihres Gesichtes betrachtete, schöpfte er neue Hoffnung. Wie sollte es möglich sein, daß ihn diese Zauberin, die ihn gestern nacht noch einen Gott genannt hatte, nach dem Erwachen erneut quälte?
Beim Frühstück käute Vanya gewöhnlich halbverdaute
Stücke ihrer Gedichte wieder. Diese Mahlzeiten waren in mehr als einer Hinsicht extravagant. Im »Caravan« hätten sie umsonst frühstücken können, doch sie saßen lieber bei
Kerzenlicht zu Hause und begannen den Tag mit einer
munteren intellektuellen Diskussion. Während Tony Bring Orangen auspreßte und ein Auge auf den mit Öl betriebenen Herd hatte, damit Hildreds Speck nicht zu knusprig wurde, flogen Gedichte hin und her. Gib mir etwas Einfaches wie den Mond, er ist nicht kompliziert… Sie lag im wogenden Sand und sprach flüsternd mit ihrem Bruder vom Tod… Zwischendurch kamen, als Einschübe, kleine Bemerkungen über den Kaffee oder die Erdbeerpreise.
Gewöhnlich verließen sie das Haus in ausgelassener
Stimmung, als hätten sie vor, einen Wochenendausflug zu machen. Doch heute morgen schien Vanya aus irgendeinem Grund keine Lust zu haben, sich auf den Weg zu machen. Sie sprach davon, daß sie zur Abwechslung mal etwas Richtiges arbeiten wolle, und meinte damit das Porträt von Tony Bring, mit dem sie vor ein paar Tagen begonnen hatte. Hildred, die sonst so bereitwillig auf jede Idee einging, die Vanya durch den Kopf schoß, reagierte auf diese Bemerkung mit einer seltsamen Gleichgültigkeit, ja fast schon Feindseligkeit. Und als Vanya hinzufügte: »Herrgott, wie idiotisch ich das finde, den ganzen Tag lang andere Leute zu bedienen… Ich bin doch kein Pferd«, stand Hildred abrupt auf, legte sich ihr Cape um und sagte: »Na gut, dann viel Spaß – ich werde jetzt die Dreckarbeit machen.« An der Tür fuhr sie herum und rief:
»Was für ein Glück, daß ich keinen Schaffensdrang habe, der mich von meinen Pflichten ablenkt – sonst wüßte ich wirklich nicht, was aus euch beiden werden sollte.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß sie sich darüber so aufregen würde«, sagte Vanya, als die Tür mit einem Knall hinter Hildred ins Schloß gefallen war. Und dann unvermittelt: »Hast du Kleingeld, Tony? Ich muß ein Taxi nehmen.«
Doch als sie einen Augenblick später aus dem Haus trat, sah sie Hildred, die in gemächlichem Tempo zur U-Bahn ging.
»Ich bin ja so froh, daß du auf mich gewartet hast«, rief sie atemlos, als sie sie eingeholt hatte.
»Ich hab nicht auf dich gewartet«, sagte Hildred. »Ich hab Seitenstechen, ich kann nicht schneller gehen.«
»Nehmen wir uns doch ein Taxi«, schlug Vanya vor. Es war eine andere Art zu sagen: »Verzeih mir.«
Sie hatten beschlossen, daß Hildred sich an bestimmten Abenden Vanya, an den anderen aber ihrem Mann widmen
sollte. Und noch eine andere Kleinigkeit war geklärt worden, und das erfüllte Tony Bring mit noch größerer Dankbarkeit seiner Frau gegenüber. Es ging um den Brief, der ihn in so tiefe Verwirrung gestürzt hatte. Er hatte das Thema nie mehr angeschnitten, doch Hildred hatte – als habe sie ihm vor Augen führen wollen, wie idiotisch er sich benommen hatte –
Schnipsel des Umschlags in der Nähe der Kloschüssel auf dem Boden liegen lassen. Das war die Art, wie sie in wichtigen Angelegenheiten miteinander kommunizierten. Ach, alle
möglichen Dinge wurden auf diese Weise mitgeteilt; es war wie ein geheimer Code und tausendmal besser als alle billigen Erklärungen.
Das ging Tony Bring durch den Kopf, als er die Wohnung aufräumte. Vor ein paar Stunden noch war alles wunderbar gewesen – ja, wunderbar. Man spürte das Walten einer
weiblichen Hand; es brachte einen Zauber, einen Charme in ihr kleines Heim. Doch nun hatte sich alles wieder
Weitere Kostenlose Bücher