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Verrückte Lust

Verrückte Lust

Titel: Verrückte Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Hildred ein langes
    Gesicht. Irgendein schmutziger Judenlümmel mit einem
    Bandmaß war frech geworden – besonders bei Vanya. Er hatte die beiden begutachtet, als wären sie Rennpferde. Und es gab keinen Paravent. Sie mußte sich vor den Augen von drei schmutzigen Judenlümmeln ausziehen. Der eine hielt das Bandmaß, der zweite schrieb die Maße auf einen Block, und der dritte – der dritte stand anscheinend bloß dabei wie eine Schaufensterpuppe und paßte auf, daß alles seine Richtigkeit hatte. Er kaute die ganze Zeit auf einer dicken Havanna-Zigarre herum. Der Höhepunkt war erreicht, als sie feststellten, daß Vanya ein drittes Mal vermessen werden mußte. Das war die Schuld des Herrn mit dem Bleistift und dem Block.
    Offenbar war er mit den Gedanken nicht bei der Sache
    gewesen. Das mußte man sich mal vorstellen: Er brauchte doch nichts weiter zu tun, als die Zahlen richtig aufzuschreiben –
    doch als sie auf den Block sahen, waren die Zahlen alle falsch.
    Und um es noch schlimmer zu machen, hatte Vanya sich anscheinend so benommen, als wäre das Ganze ein einziger Witz. Selbst als sie zwischen ihren Beinen herumfummelten, war sie so widerwärtig ungerührt geblieben. Sie hatte sich nicht einmal die Hände vor den Busen gehalten. »Nicht die Spur von Anstand«, lautete Hildreds wütendes Urteil.
    »Aber was hab ich denn getan?« rief Vanya. »Hast du dich etwa nicht ausgezogen? Meinst du vielleicht, du hast
    anständiger ausgesehen, bloß weil du deinen blöden BH
    anbehalten hast?«
    »Das war es nicht! Es war die Art, wie du dagestanden bist.«
    »Was hätte ich denn tun sollen – mich hinstellen wie die Madonna mit dem Kinde? Herrgott, wie dämlich du manchmal bist!«

    Eine Zeitlang ging alles gut, bis auf die Tatsache, daß Hildred Schwierigkeiten im »Caravan« bekam. Man drohte ihr, sie werde rausfliegen, wenn sie sich nicht bessere.
    »Sieh zu, daß du die Stelle behältst«, warnte Tony Bring sie,
    »sonst stecken wir hier in der Scheiße.«
    Das fand Vanya ebenfalls. Irgendeiner mußte schließlich ein bißchen Verantwortungsgefühl haben.
    Es gab jedoch noch einen anderen, wichtigeren Grund,
    warum Hildred weitermachen mußte. Vanya hatte wieder
    angefangen, mit Gips und anderem Zeug zu experimentieren.
    Sie drohte, noch mehr Graf Brugas, noch mehr Masken und Abdrücke zu machen. Geld mußte her. Natürlich – sobald Hildred ein paar verkauft hatte, würde alles von allein laufen.
    Und wo gab es einen besseren Markt als das »Caravan«?
    Lausberg würde den Ball wahrscheinlich ins Rollen bringen; und dann gab es da noch diesen großen, gutmütigen Trottel Earl Biggers, ganz zu schweigen von Ilias’ Mutter und den Jungen mit den goldenen Locken, die nach allem verrückt waren, was irgendwie nach Kunst aussah.
    Hildred gehörte nicht zu denen, die an einem Köder bloß zupften. Sie verschlang ihn mit Haken und Bleigewicht. Die Idee war genial. Natürlich war sie das! Ein Genie hatte sie sich ausgedacht. Ein Romanow-Genie.
    Sie kam jetzt immer gleich nach der Arbeit nach Hause. Jeder half mit. Wenn ein Besucher da war, bekam er Hammer und Säge in die Hand gedrückt, oder man zeigte ihm, wie braunes Packpapier in schmale Streifen gerissen wurde. Der Boden verwandelte sich in einen Sumpf aus gebranntem Gips,
    Sägemehl, Nägeln, Firnis, Leim, Samt- und Satinresten, Puppenperücken, mexikanischen Farben… Es herrschte ein Durcheinander wie hinter einer Striptease-Bühne.
    Zum Üben machten sie Gipsabdrücke voneinander. Hildred lehnte die normalen, ruhigen, totenähnlichen Posen ab. Sie strebte immer nach dem Grotesken. Anstelle von Ebenbildern kamen also Mißgeburten, Satyre, Verrückte, Wahnsinnige dabei heraus. Hin und wieder ein Hiob oder ein Hamlet, oder vielleicht auch mal eine römische Münze.
    Tony Bring nahm das alles mit außergewöhnlicher
    Gelassenheit hin. Sollten sie doch ihre Opiumträume träumen.
    Sollten sie reden. Mit einem Taschengeld würden sie nicht nach Paris kommen. Und über Nacht reich werden – was für ein Blödsinn! Wenn es nur für die Miete reichte! Wenn sie es nur schafften, für etwas zu essen zu sorgen! Hildred dachte natürlich schon wieder in Lastwagenladungen, aber das war so ihre Art. Nichts weiter als eine Schilddrüsen-Überfunktion.
    Gegen drei oder vier Uhr morgens schlich sich Vanya in ihrem Overall hinaus, auf der Suche nach Brötchentüten und Milchflaschen, die die Lieferanten den Leuten vor die Tür stellten. Die paar Stunden, die ihnen zum

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