Verscharrt: Thriller (German Edition)
O’Hara könnte natürlich überall ein Bier bekommen, aber die Treue zu ihrer Lieblingsbodega in Florida führt sie erneut über die Brücken nach Longboat Key.
Bei ihrem zweiten Besuch bei Publix kommt sich O’Hara bereits wie eine Stammkundin vor. Sie zieht einen Einkaufswagen aus der Wagenschlange, und wie ein Hund, der seine Auslaufstrecke und seine bevorzugten Pinkelplätze kennt, wackelt sie fröhlich damit in den Gang mit dem Bier. Die Auswahl hier ist verlässlicher als im Cineplex, und sachte stellt sie zwei Sixpacks Amstel vorne in ihren Wagen.
O’Hara beschließt, noch ein paar Lebensmittel für bevorstehende Frühstücks- und kleine Abendmahlzeiten einzupacken, und schiebt in nahrhaftere Regionen weiter, allerdings eher, um ihren Aufenthalt in dem Geschäft zu verlängern als in realistischer Voraussicht auf künftigen Appetit und Bedürfnisse. An der Wand mit den Frühstücksflocken bleibt O’Hara neben einem großen, gebeugten Mann mit grauer Strickjacke und Wildlederflicken an den Ellbogen stehen. Wie O’Hara hat auch er die Rice Krispies ins Auge gefasst. » Nach Ihnen « , sagt er.
» Auf keinen Fall « , sagt O’Hara. » Sie waren vor mir hier. «
» Ist mir schnurzpiepegal « , sagt der alte Mann. Er klingt, als hätte er den Mund voller Kies, und er trägt eine Hornbrille. » Ich bestehe darauf. «
» Na, schön. «
Aufgrund seiner charmanten Galanz hält ihn O’Hara für den überlebenden Teil eines einst glücklichen Paares, den sogenannten Übriggebliebenen, der den Versicherungsmathematikern und Krebsleiden ein Schnippchen geschlagen hat und sich nun alleine an den sonnigen Stränden des Golfs von Mexiko durchschlagen muss. O’Hara sollte ihm Sols Nummer zustecken, damit sie gemeinsam ihre Gutscheine einlösen und sich gegenseitig bei Sweet Tomatoes Rückendeckung geben können.
» Schönen Einkauf noch « , wünscht O’Hara und lächelt zum Abschied.
» Danke gleichfalls, junge Frau. «
Gibt es eine reibungsärmere Oberfläche als gut gebohnertes Linoleum? Wenn es mit der Wirtschaft so richtig den Bach runtergeht, könnte man aus alten Supermärkten immer noch Skateboard-Parks machen. O’Hara schiebt ihren Wagen die breiten Gänge entlang, stellt gelegentlich wahllos etwas hinein und zerbricht sich den Kopf über die geheimnisvollen Unterschiede zwischen den Produkten konkurrierender Marken, und zwar ebenso ernsthaft, als wollte sie einen Gebrauchtwagen kaufen. Sie legt fettarme Milch, englische Vollkornmuffins und Alufolie in ihren Einkaufswagen. Blaue Tortilla-Chips, Salsa und einen Skizzenblock. Bananen, Brombeeren und fünf frische, rosa Florida-Grapefruits, und da sich Grapefruit nicht von alleine schneidet, bleibt ihr keine andere Wahl, als auch noch in die Haushaltswarenabteilung zu trotten und ein gezacktes Messer zu suchen. Im Verlauf ihrer Umrundungen begegnet O’Hara dem alten Mann und seinem Wagen mit den wenigen Waren, jeweils in der kleinsten erhältlichen Packungsgröße, noch mehrere Male. Immer wenn sich ihre Pfade kreuzen, sieht O’Hara dem alten Mann an, wie sehr er ihre Wortwechsel schätzt, egal wie kurz diese auch sein mögen. Ihr wird klar, dass seine Ausflüge zu Publix, für die er sich so elegant kleidet, den Höhepunkt seines Tages bilden.
Im Gang mit den Küchenutensilien rollt O’Hara an eine attraktive Frau mit Kopftuch und knöchellangem Strandkleid sowie deren cirka zwölf bis dreizehnjährige Tochter heran. Irgendwas an ihnen, der leere Wagen und das ziellose Herumschlendern, lässt sie ihre Cop-Antennen ausfahren. Wegen des weiten Kleids der Frau und der langen Verweildauer in einem Gang mit eher kostspieligen Waren, vermutet O’Hara Ladendiebe. Sie ermahnt sich jedoch, sich lieber um ihren eigenen Mord, oder besser ihre Morde, zu kümmern und ruft sich in Erinnerung, dass ein Supermarkt auf dem neuesten Stand der Technik durchaus in der Lage sein sollte, Dieben alleine das Handwerk zu legen. Also verdrängt sie die beiden aus ihren Gedanken und schiebt an ihnen vorbei zum Regal mit den Messern. Sie ersteht das zweitbilligste von vier gezackten Varianten, legt noch eine Zahnbürste, Zahnseide und SPF -Lippenbalsam dazu und macht sich auf Richtung Kasse.
Während sie wartet, sucht O’Hara die anderen Kassen nach dem älteren Herrn ab und entdeckt ihn zwei Reihen weiter rechts. Er steht als Vorletzter in der Schlange und legt seine blauweiße Packung Rice Krispies aufs Band. Als er sich vorbeugt, um einen weiteren Gegenstand aus dem
Weitere Kostenlose Bücher