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Verscharrt: Thriller (German Edition)

Verscharrt: Thriller (German Edition)

Titel: Verscharrt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Jonge
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das Mädchen mit einem üppigen Eisbecher– und O’Hara wird Zeugin einer weiteren Episode dieser verwerflichen Farce. Die Frau hat offensichtlich noch nie ein so leckeres Eis gegessen. Der alte Herr muss es unbedingt probieren. Sie hält ihm die Waffel hin. Und dann noch mal. Dann tupft sie ihm mit ihrem Taschentuch übers Kinn. Die Vorübergehenden schenken ihnen keinerlei Beachtung. Ist es möglich, dass Passanten sie bereits für Vater, Tochter und Enkelkind halten, die gemeinsam den Sommerabend genießen?
    Als das Eis gegessen ist, schlendert die glückliche Kleinfamilie wieder zum Wagen zurück. Doch anstatt zu Publix fährt der Cadillac weiter in nördlicher Richtung am Hafen vorbei nach Sarasota. Als es vollständig dunkel ist, folgt O’Hara ihnen über die Verlängerung des Tamiami Trails in südlicher Richtung, vorbei an leer stehenden Ladenlokalen und Discountern. Sie fahren an Tattooshops, Pfandbüros und einer makabren Einkaufszeile vorbei, wo sich ein auf Rollstühle und Gehhilfen spezialisiertes Sanitätshaus direkt neben einem Porno- und Sexshop befindet, der mit 25 Prozent Rabatt um Senioren wirbt. Bequemer geht’s nicht– einmal anhalten und eine Bettpfanne und einen Porno einladen.
    Eine Viertelmeile später wechselt der Wagen auf die rechte Spur, macht einen U-Turn auf die gegenüberliegende Straßenseite und biegt anschließend auf den Parkplatz eines heruntergekommenen Motels, das mit günstigen Apartments ab 99 Dollar pro Woche wirbt. O’Hara macht ihre Scheinwerfer aus und folgt dem Wagen hinter das Gebäude, wo er vor einer Erdgeschoss-Einheit hält. Nach einigen Minuten steigen die Frau und das Mädchen aus, und als der alte Herr sieht, dass sie sicher im Haus sind, verlässt er den dunklen Parkplatz und fährt erneut auf den Tamiami Trail.
    O’Hara jedoch fährt nirgendwohin. Sie macht den Motor aus, nimmt sich ein Amstel vom Rücksitz, starrt die Tür an, durch die Mutter und Tochter verschwunden sind, und trinkt ihr Bier. Obwohl der alte Herr keinen physischen Schaden genommen hat, empfindet sie das, was sie in den vergangenen vierzig Minuten beobachten konnte, als ebenso verstörend wie brutal. Sich auf diese Weise an alten Menschen zu vergehen scheint ihr nicht weniger abscheulich als nackte Gewalt gegen junge.
    O’Hara trinkt ein zweites Bier, starrt die Vorhänge an und denkt, wie schwer es sein muss, alleine dem Ende entgegenzusehen. Sie denkt an den alten Herrn bei Publix, an Levin in seiner Wohnung und an Gus in seinem Keller und fragt sich, ob dies auch ihr Schicksal sein wird. Im Moment sieht es jedenfalls ganz danach aus. O’Haras Großmutter hatte gegen Ende ihres Lebens einmal gesagt, Verdrängungsprozesse, das Nichtwahrhabenwollen, würden völlig unterschätzt. Vielleicht ist Demenz ja nur eine stärkere Form desselben Phänomens. Vicodin statt Advil. Das Bier wirkt einigermaßen beruhigend auf O’Hara, bis sie eine Gestalt am Fenster sieht und wieder an die Frau denkt, die ihren nächsten Schachzug gegen den alten Herrn plant.
    Es lässt O’Hara keine Ruhe, dass sie nichts tun kann, um ihn weniger angreifbar zu machen. Sie hat sich sein Kennzeichen notiert: Sie könnte sich die Adresse geben lassen und Wawrinka bitten, jemanden zu ihm zu schicken, um ihn zu warnen, aber was haben sie schon zu bieten, das ihn widerstandsfähiger gegen die Offerten einer jungen Frau machen könnte, die sich offenkundig für ihn interessiert, wenn die einzige Alternative für ihn darin besteht, in seiner kleinen Bude zu hocken, die Tür zu verriegeln und auf den Tod zu warten? O’Hara sollte genau das machen. Sollte zurückfahren, sich in ihre Bude hocken, den Sportkanal einschalten und das restliche Bier trinken. Aber auch sie kriegt das nicht hin.
    Sie sucht den Parkplatz nach einem Wagen ab, der der Frau gehören könnte, aber er ist leer. Sind die beiden auf gut Glück mit dem Bus nach Longboat Key gefahren? In dem Gebäude scheint es kein Büro und keinen Empfang zu geben. Als O’Hara sich gerade ermahnt, das einzig Vernünftige zu tun und wegzufahren, biegt ein winziger Kleinwagen, der unter dem Pizzaschild auf seinem Dach noch kleiner wirkt, scheppernd auf den Parkplatz ein. Als ein pickliger Teenager mit einer fettigen Schachtel aussteigt, springt O’Hara aus dem Wagen.
    » Hab gerade eine geraucht. Ich sehe, du hast meine Pizza. «
    » Zimmer neunzehn? Pilze und Salami? «
    » Herzlichen Glückwunsch. Diesmal habt ihr’s hingekriegt. Was bekommst du? «
    »

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