Verscharrt: Thriller (German Edition)
Wagen zu nehmen, berührt ihn die Person hinter ihm in der Schlange knapp oberhalb des Flickens am Arm, und der alte Mann errötet lächelnd. Es ist die Frau mit dem Kopftuch und der Tochter.
In weniger als einer Sekunde ist die therapeutische Wirkung eines vierzigminütigen Einkaufs bei Publix verpufft. Ladendiebe kann O’Hara gerade so noch ignorieren, auch wenn sie sich ihren Lieblingssupermarkt auf dem gesamten Festland der Vereinigten Staaten vorgenommen haben. Aber sie wird kein Auge zudrücken, wenn sich eine Schlampe mit ihrer verlotterten Tochter an einen reizenden alten Herrn in einer Strickjacke heranmacht, der Rice Krispies zum Frühstück mag. Verflucht.
Die drei kommen vor ihr durch die Kasse, aber O’Hara überholt sie, während sie langsam durch die gläserne Automatiktür nach draußen treten. Sie erreicht ihren Wagen gerade noch rechtzeitig, um im Rückspiegel zu sehen, dass die Frau und das Mädchen dem alten Mann über den Parkplatz folgen und in seiner Nähe stehen bleiben, während er zwei Tüten in den Kofferraum eines zehn Jahre alten grünen Cadillacs lädt. Nachdem ihn die Frau erneut am Arm berührt hat, sagt er etwas, das sie vor Freude strahlen und ihre missmutige Tochter anstubsen lässt, damit diese es ihr gleichtut. Dann hält er sehr zu O’Haras Bestürzung dem Mädchen eine der beiden hinteren Türen und der Mutter die Beifahrertür auf und geht anschließend zur Fahrerseite herum. Als er ausparkt, fährt auch O’Hara los.
Selbst sie, die sich in Gedanken ständig Worst Case-Szenarien ausmalt, hat nicht vorausgesehen, dass die Frau derartig schnell arbeitet. Sie hatte gedacht, sie würde sich vielleicht die Telefonnummer des alten Herrn geben lassen, aber erst mal in ihrem eigenen Wagen davonfahren. O’Hara hätte sich die Nummer notiert und wäre der Frau vielleicht nach Hause gefolgt. Dann hätte sie Wawrinka die Information weitergegeben und die vor Ort zuständigen Beamten entscheiden lassen, in welche Kategorie von Belästigung ein solches Verhalten einzuordnen ist.
Stattdessen fährt O’Hara nun allen dreien in westlicher Richtung nach Sarasota hinterher. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft ist die Zugbrücke oben. Während die Sonne im Golf versinkt, stiert O’Hara durch die Heckscheibe des Cadillacs und beobachtet das entsetzliche Schauspiel auf dem Vordersitz. Die Frau nickt und lacht, immer wieder greift sie rüber und berührt den Mann am Arm oder an der Schulter. Vielleicht übertreibt sie’s ja auch so unerhört, dass selbst ein einsamer alter Mann sie durchschaut, aber wenn man bedenkt, dass ein Einkauf bei Publix für ihn das Highlight des Tages ist, scheint dies nicht sehr wahrscheinlich.
O’Hara merkt, dass ihr der Geduldsfaden reißt. Aber was genau will sie unternehmen, und was wird das bringen? Und wenn etwas schiefgeht– was ja jederzeit leicht möglich ist? Sie steht sowieso schon in dem Ruf, unberechenbar zu sein. Glaubt sie im Ernst, ihre Karriere würde einen astreinen Reinfall tausend Meilen außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs überstehen?
Passiv aus zwei Metern Abstand zuzusehen, ist ihr allerdings auch nicht möglich. Sie löst ihren Sicherheitsgurt und greift nach dem Türöffner. Soweit man dies als Plan bezeichnen kann, sieht er folgendermaßen aus: Sie geht zur Fahrerseite des Cadillacs, zeigt ihre Dienstmarke und bittet den alten Herrn unter irgendeinem Vorwand auszusteigen. Während die Frau sich im Wagen vor Angst in die Hose macht, wird O’Hara dem alten Herrn genau erklären, was er sich da angelacht hat. Doch als O’Hara ihre Wagentür aufmacht und einen Fuß auf die Straße stellt, wird vor ihnen die Zugbrücke wieder heruntergelassen, und der Fahrer im Wagen hinter ihr drückt auf die Hupe und fuchtelt frustriert mit den Armen.
Sie findet die Location zu chaotisch. Bei der ganzen Huperei wird sie der alte Herr schon rein akustisch nicht verstehen und wahrscheinlich nervös werden. Viel zu viel kann schiefgehen. O’Hara springt wieder ins Auto und folgt ihnen über den Shopping Circle, durch den sie auch schon am Abend ihrer Ankunft gefahren ist. Auf halbem Weg durch den Kreisel fährt der Cadillac rechts ran und parkt. Die drei steigen aus und gehen in einen altmodischen Eissalon, wo ein armer Teenager in historischen Klamotten über einem Marmortischchen Fudge knetet. Im Laden kann keine Kundschaft sein, denn wenige Minuten später sitzen die drei schon draußen auf einer Bank– die Mutter mit einer Pistazienwaffel und
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