Verscharrt: Thriller (German Edition)
hundertfünfzig Kilo muss er größer gewirkt haben, als er der Länge nach tatsächlich war.
Er sieht nicht unbedingt gemein aus, sondern eher wie jemand, der sich den Luxus nie leisten konnte, sich um andere zu scheren. Sein Gesicht ist von Aknenarben übersät, sein Kinn eine kleine Erhebung zwischen dicken Backen, und seinen Augen ist anzusehen, wie müde es macht, einen so massigen Körper mit sich herumzuschleppen. Adams, ein Meter siebzig groß und sechzig Kilo schwer, ist ein nichtsnutziger Betrüger. Seine Ohren sind zu groß für sein Gesicht, und in beiden Ohrläppchen steckt ein Glitzerstein. Auch seine Augen sind zu groß. Laut Wawrinka wird er Johnny George, George Johns, Skigo oder Fudgesicle genannt. Adams Pseudonyme sind Nick Miller, Tom Marks oder Popsicle.
Wawrinkas Nachricht lautet weiter: » Als du gesagt hast, dass unsere Verdächtigen Roma sein könnten, habe ich online nachgesehen und einen pensionierten Detective in San Diego gefunden, der eine landesweite Datei mit den Namen aller bekannten Roma führt. Diese Leute sitzen selten im Knast und haben meist kein Vorstrafenregister. Alte Menschen sind schlechte Zeugen, und außerdem glaubt ihnen sowieso niemand. Das bedeutet, dass Betrüger, die sich auf sie spezialisieren, so gut wie nie gefasst werden. Und wenn doch, zahlen sie ein Bußgeld und verbuchen es unter Betriebskosten. Deshalb tauchen sie auch im großen Computer nicht auf. Aber anhand des Namens auf der Kreditkarte und der Beschreibung hat er Nick Adams alias Popsicle gefunden und über ihn auch seinen Komplizen. Gemeinsam sind sie ein erstaunliches Duo, Dick und Doof unter den Trickbetrügern. «
O’Hara kehrt zurück zu Fudgesicles grüblerischem Gesicht und seinem verschlafenen Blick und stellt sich vor, wie er bei Lebrie vor der Tür steht. Diese Arschlöcher halten sich für schlauer als alle anderen, dabei machen sie nichts, als alte Menschen einzuschüchtern, deren Kraft und Entschlossenheit gegen Ende ihres Lebens schwinden. Lebrie war schlau, so lange mit dem Pfannenwender zu klopfen, bis sie sicher sein konnte, dass sie weg waren.
Sie googelt Lebrie und findet eine kleine Seite über » Fran Lebrie– Assemblage-Künstlerin « . » Fran Lebrie « steht in der Einleitung, » ist eine Assemblage-Künstlerin, deren fantasievolle Konstruktionen sowohl ihre Herkunft aus der Philosophie wie auch ihr Können auf dem Gebiet des Produktdesigns widerspiegeln. « Auf der Seite sind auch Fotos von Lebries Arbeiten, darunter mehrere Installationen, die O’Hara und Wawrinka bei ihrem Besuch gesehen haben. Unter den weiteren Suchergebnissen findet sich auch die Todesanzeige für Alfred Lebrie in den Longboat Key News vom 4.8.2005. Nach einem Blick auf ihren Notizblock fällt ihr auf, dass der Artikel genau eine Woche nach dem Datum auf ihrer Liste erschien. Eine Todesanzeige in einer Wochenzeitung würde wahrscheinlich in der Woche nach dem Sterbedatum erscheinen, und die Anzeige selbst bestätigt dies. » Alfred Lebrie, der 36 Jahre lang in Longboat Key überwinterte, starb am vergangenen Montag, dem 1. April im Alter von 86 Jahren. Er war Veteran des Zweiten Weltkriegs und diente als Lieutenant in der 93. Infanteriedivision… «
Jetzt googelt O’Hara Levin und scrollt so lange durch die Treffer, bis sie die Todesanzeige seiner Frau Evelyn findet. Auch ihr Todestag entspricht dem Datum auf dem Zettel. Offensichtlich hat es diesen Arschlöchern nicht genügt, alte Leute auszunehmen. Um sicherzugehen, dass sie es mit wirklich verletzlichen Menschen zu tun bekommen, haben sie sich gezielt Personen ausgesucht, die kürzlich ihren Ehepartner verloren hatten.
KAPITEL 51
Die Stahltreppe ist heimtückisch, ganz besonders, wenn man zehn Zentimeter hohe Absätze trägt. Unten angekommen zeigt eine alte Hexe mit runden Schultern und Bart-Simpson-T-Shirt auf einen Plastikstuhl. O’Hara nimmt darauf Platz, der feuchte Sitz klebt an ihren Oberschenkeln. Auf wackligen Füßen, mit zerknittertem Kleid und verschmiertem, orangefarbenen Lippenstift, trägt O’Hara die ganze Tragik einer Anfang-vierzig-jährigen Reality-Show-Teilnehmerin zur Schau– eine Verkleidung, die sie nicht viel Mühe gekostet hat, wie ihr nun klar wird–, und während sie ihren Schuh an einem Zeh baumeln lässt, mustert ihre Aufpasserin sie ausgiebig. Weiches Licht schimmert durch die Vorhänge eines Kellerfensters und sickert hinaus auf das Freitagsabendgewühl der Lower East Side.
Nach zehn Minuten öffnet sich
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