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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
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Südkurier
lag daneben, eine mehrere Tage alte Ausgabe, und Linda überflog den Titel. Flüchtlingstod
im Container . Darunter stand: 25 Afrikaner auf dem Weg durch Europa erstickt. Das Farbbild darüber zeigte zwei Helfer einer Rettungseinheit mit einem Überlebenden.
    Linda legte
die Zeitung bei Seite und betrachtete den Spiralblock.Er war auf einer Seite
aufgeschlagen, eine von Hand gezeichnete Tabelle, in der Lene Grandel ihre Beobachtungen
eingetragen hatte. In der ersten Spalte die Namen der Vögel, dahinter das Datum,
der Ort und die Anzahl. Die Beobachtungen begannen am Ersten des Monats, fast jeder
Tag war seitdem mit einem Eintrag versehen. Sie erstreckten sich auf den Reiter-Baggersee,
das Wollmatinger Ried, den Beobachtungsplatz Allensbach und den Reichenau-Damm.
    Die Reiherenten
hatten mehrere Zeilen gefüllt, ebenso Stockente, Graureiher, Kormoran und Blässhuhn.
Haubentaucher und Kolbenente waren schon seltener. Nur mit einem Eintrag tauchten
Rohrweihe und Spießente auf. Einige Vogelnamen waren mit einem Ausrufungszeichen
versehen. Brandgans! Singschwan! Brachvogel! Dies schienen die besonders
seltenen Beobachtungen zu sein.
    Dann ein
Name, mit dem sie überhaupt nichts anzufangen wusste. Schwarze stand da nur,
und dahinter das biologische Zeichen für weiblich, ein Kreis mit einem Kreuz darunter.
Eine schwarze Katze vielleicht, überlegte Linda. Eine schwarze Ente? Oder ein schwarzer
Schwan? Davon zumindest hatte sie schon gelesen. Sie blätterte im Index des Vogelbuchs.
Schwarzhalstaucher, Schwarzkehlchen, Schwarzmilan, Schwarzspecht, Schwarzstirnwürger,
Schwarzstorch?
    Nun ja,
was immer es war, es schien für Lene Grandel eine ungewöhnliche Beobachtung gewesen
zu sein, denn sie hatte das Datum dick unterstrichen und mehrere Ausrufungszeichen
dahinter gesetzt. 27. März 2011!!!! Das war gerade mal vor drei Tagen gewesen

    Linda notierte
sich einige der Einträge. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als könnten die Beobachtungen
der alten Frau etwas mit ihrem Tod zu tun haben.
    Sie setzte
noch einmal ihr Auge an das Okular des Spektivs und begann, das Rohr auf dem Stativ
langsam von rechts nach links zu schwenken und danach wieder zurück. Schon wollte
Linda sich wieder aufrichten, als ihr Blick plötzlich an einem winzigen Detail hängen
blieb, und sie in der Schwenkbewegung des Stativkopfs innehielt. Sie fokussierte
noch einmal auf das Fenster der Baracke, die sie gerade gestreift hatte.
    Die Dämmerung
hatte eingesetzt, und jemand musste in dieser Sekunde im Innern der Hütte Licht
eingeschaltet haben. Da es keine Vorhänge gab, konnte Linda erkennen, wie ein Mann
sich dort bewegte, er schien zu telefonieren und dabei auf und ab zu gehen. Plötzlich
blieb er stehen, blickte zu ihr herauf und schien im selben Augenblick zu erstarren.
Er hatte sie entdeckt und wahrgenommen, dass sie ihn beobachtete, nahm das Handy
vom Ohr, fuchtelte ihr drohend zu und verschwand aus dem von ihr einsehbaren Bereich
des Raums.
    Sie fuhr
erschrocken zurück, fühlte sich ertappt und beruhigte sich im selben Moment mit
dem Gedanken, dass sie zwar den Mann genau gesehen, er von ihr aus der Entfernung
aber nichts wahrgenommen haben konnte.
    Sie versuchte,
sich sein Gesicht zu merken, doch in den wenigen Sekunden, in denen er in ihre Richtung
gestarrt hatte, war ihr nur sein finsterer Ausdruck aufgefallen und die kantig geschnittenen
Gesichtszüge, die sie an einen Südländer erinnerten. Kroate vielleicht oder Italiener,
dachte sie, vielleicht Mitte 50. Seine schwarzen Haare würden dazu passen.
    Sie dachte
an den Eintrag in Lenes Vogeldossier. Schwarze stand da nur. Sollte es der
Schwarze heißen? Der Krimi, den sie gerade gelesen hatte, fiel ihr ein. Hier
hatte der Schwarze , wie der Autor seinen Mörder nannte, seine Opfer im Wald
mit einer Garotte, einer Drahtschlinge mit kleinen Holzgriffen, erdrosselt. Sie
hatte den Autor bei einer Lesung kennen gelernt. Ein netter Kerl, Marke gemütlicher
Bär mit Vollbart und im richtigen Leben Förster im Schwarzwald. Kaum zu glauben,
dass er sich solche schaurigen Geschichten ausdachte. Doch beim Signieren hatte
er ihr erzählt, dass das Schießen von Rehen und Wildschweinen für ihn zur beruflichen
Routine zählte. Sie selbst hatte noch nie auf ein Tier geschossen.
    »Sind sie
froh, dass ich mir meine Geschichten nur ausdenke«, hatte er noch schmunzelnd hinzugefügt
und Linda damit einen Schauer über den Rücken gejagt. Seine Augen hatten listig
im vollbärtigen Gesicht

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