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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
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großohrigen Fenneks geholt. Nur selten stoßen sie auf unversehrte Tote,
mumifiziert und zusammengehalten durch die Reste eines vermoderten Boubou.
    Wo Kleidung
noch ganz und nicht von Wüstenhunden zerrissen ist, finden die skurrilsten Tauschgeschäfte
statt. Viele der Leichen sind von Räubern gefleddert, ihre nackte Haut von der Sonne
ausgezehrt und wie raues Leder getrocknet, und leere Höhlen klaffen dort, wo die
von Schildraben herausgehackten Augen saßen, aus in stiller Qual entstellten Fratzen.
    Hadé erschrickt,
als sie eine der Toten unter dem blauen Iro ihrer Schwester am Wegrand liegen sieht.
Doch die Tote ist nicht Sema, und am Abend erfährt Hadé von ihrer Schwester, dass
sie den fast unversehrten Umhang der Toten an sich genommen und ihr dafür ihren
zerrissenen Iro gelassen hat.
    Am vierten
Tag in der Wüste bricht eine der Frauen zusammen und bleibt regungslos am Weg liegen.
Rhissa ag Jebrim, der den Zug mit seinem Kamel immer wieder entlangreitet und die
Menschen antreibt, kehrt um, lässt sein Kamel in den Sand knien, steigt ab und stößt
mit dem Fuß nach der leblos am Boden liegenden Gestalt.
    Die Frau
atmet noch, doch ihre Lippen sind aufgeplatzt, ihre Haut ist rissig, und Hadé ahnt,
dass sie seit Tagen kein Geld mehr für Wasser hatte. Schon will sie sich bücken,
um ihr etwas aus ihrer Kalebasse einzuflößen, als sie der Targi rüde zurückstößt.
Stattdessen bückt er sich, streift der Verdurstenden die flachen Sandalen von den
Füßen, lässt die Frau verschmachtend im Sand liegen und zieht Hadé mit sich fort.
    In jener
Nacht liegt sie weinend neben ihrer Schwester, als Rhissa ag Jebrim plötzlich vor
ihr steht und sie auffordert, mitzukommen. Hadé erhebt sich und folgt dem Targi
soweit in die Wüste, bis sie die Silhouetten der am Boden Schlafenden im Lager gerade
noch erahnen können.
    »Die Frau
heute morgen -«, sagt er, »- wer die Sterbenden nicht sterben lässt, stirbt selbst.
Allagali. Das ist Gesetz in der Reg.«
    Mehr sagt
er nicht. Es sind die einzigen Worte, die sie je von ihm hört. Sie weiß, was der
Tuaregführer von ihr will, und dass es noch lange nicht das letzte Mal sein wird
auf ihrer Reise nach Europa. Seine Bewegungen sind wild und ungestüm, als er sie
von hinten nimmt wie ein Tier. Dabei gibt er keinen Ton, nicht einmal ein leises
Stöhnen von sich. Als er sich in ihr entleert hat, steht er auf, rückt seinen Kaftan
zurecht und schreitet ins Lager zurück, ohne auf sie zu achten.
    Eine Frau
gilt nichts hier in der Wüste, das hat sie am Morgen gespürt, als er die Sterbende
zurückgelassen hat – und jetzt wieder. Minuten, nachdem er gegangen ist erhebt sie
sich und sucht ihren Schlafplatz an der Seite ihrer Schwester auf. Als sie auf den
steinigen Boden gleitet, spürt sie etwas Unförmiges unter sich. Sie tastet danach
und hält die beiden Sandalen in der Hand, die Rhissa ag Jebrim der sterbenden Frau
abgenommen hat.
    Am Morgen
lässt sie ihre alten Schuhe zurück.
    Hadé hört
bald nicht nur auf, die Tage zu zählen, sondern auch die Toten, die den Weg der
Flüchtlingskarawane säumen. Achtlos lässt sie, wie all die anderen, Körper und Skelette
am Wegrand liegen und zieht weiter, immer in der Hoffnung, nicht eines Tages selbst
dazuzugehören. Nur bei einer der Leichen bleibt sie kurz stehen, weil ihr das Gesicht
der Toten bekannt vorkommt.
    Es ist Corinne.

39
     
    Die Sonne hatte sich einen Weg durch
die Wolkendecke gebahnt, als Linda pünktlich zur verabredeten Zeit das afrikanische
Restaurant im Stuttgarter Süden erreichte. Sie kannte es von früheren Besuchen mit
Alan Scott, mit dem sie während seiner Zeit in Deutschland immer wieder gerne afrikanisch
Essen gegangen war.
    Ihr Lieblingsafrikaner
war das Africa-Restaurant im ehemaligen Schlachthaus direkt hinter dem Brechtbau
im Tübinger Universitätsgelände. Doch auch der Afrikaner in Stuttgart, den ihr eine
Kollegin empfohlen hatte, kochte hervorragend und die Gasträume strahlten durch
entsprechende Dekoration und dezente Beleuchtung afrikanische Atmosphäre aus. Die
Tische standen separat in kleinen Nischen und so war das Restaurant auch ein guter
Ort, um sich ungestört zu unterhalten.
    Linda hatte
es Hadé als Treffpunkt vorgeschlagen, zumal es auch für sie gut zu Fuß zu erreichen
war. Die Nigerianerin wartete vor dem Eingang, sie sah in Jeans und leichter Windjacke
so überhaupt nicht afrikanisch aus, zumal sie ihre Haare unter einer gelben Wollmütze
und ihr Gesicht hinter einem dünnen

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