Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
Vom Netzwerk:
hielten
die Fenster geschlossen, obwohl der Wagen keine Klimaanlage hatte. Lärm, Hitze und
Gestank von draußen waren noch unerträglicher als die stickige Luft in dem Taxi,
das heute am Tag noch mehr nach den Schaffellbezügen und dem Schweiß Johnny Cashs
roch, als Alan das in der Nacht empfunden hatte.
    Als der
Taxifahrer nach langer Fahrt zwischen knöcheltiefen Schlaglöchern auf der rechten
Spur anhielt und sie sich im Hupkonzert der hinter ihnen Wartenden aus dem Taxi
quälten, stieg Alan beißender Rauch in die Nase. Eine Mischung aus Paraffin, geschmolzenem
Plastik und verschmortem Metall nahm ihm den Atem. Er bezahlte Johnny Cash und verabredete
mit ihm, in zwei Stunden wieder hier zu sein.
    Der Lärm
der Stadt war immens, und Ulla musste schreien, um Alan zu sagen, dass er sich an
ihr festhalten solle. Sie zog ihn mit sich fort, weg von der Autobahn, zwischen
die Häuser hinein, die noch aus der Kolonialzeit zu stammen schienen. Bald wichen
die mehrstöckigen Gebäude flachen Buden mit Blechdächern und Wänden aus bunten Folien,
die sich als Cafés und Obststände entpuppten, hinter einer der bunt bemalten Baracken
verbarg sich ein Kindergarten.
    »Wo sind
wir hier?«, fragte Alan.
    »Mitten
in Ikeja«, antwortete Ulla und grinste. »Allerdings gibt es hier keine schwedischen
Möbel, sondern Schrott. Ich habe mich noch bei einem unserer Mitarbeiter aus Lagos
erkundigt. Dein Taxifahrer hat recht. Er meinte auch, der größte Markt für Elektronik
sei hier im Norden von Lagos zu finden. Und zwar dort drüben auf dem Müllplatz!«
    Alan sah
die verkohlten Halden auf der anderen Straßenseite. Von Markttreiben, wie er es
aus Nairobi oder Arusha kannte, war hier nichts mehr zu sehen. Stattdessen stiegen
unzählige schwarzgraue Rauchsäulen in den Himmel und formten über dem Stadtteil
eine schmutzige Wolke, durch die das Sonnenlicht wie hinter einer Milchglasscheibe
verschwamm. Sie überquerten die Straße, ein hoher Gitterzaun versperrte den Weg,
Müll türmte sich auf, die Halden schienen höher als die Häuser, die jetzt hinter
ihnen lagen und in weißem, grauem und schwarzem Dunst versanken.
    Alan Scott
traute seinen Augen nicht. Abfall, Moder, Tierkadaver und Schrott, soweit sein Blick
reichte. Erst jetzt registrierte er, dass das Müllgebirge bewohnt schien. Überall
liefen Menschen – die meisten von ihnen Kinder – barfuss über den Berg, bückten
sich und sammelten hastig ein, was ihnen verwertbar erschien.
    »Komm, da
hinüber!«, schrie Ulla, denn noch immer übertönte der Lärm der Verkehrshölle das
Rufen und Grölen der Menschen auf dem Abfallberg, und selbst das Krächzen der schwarzweißen
Raben und das Wiehern der Milane, die zu Hunderten über dem Zivilisationsaas kreisten,
drang nur schwach bis zu ihnen durch. Ulla führte ihn an dem Zaun entlang bis zu
einer Öffnung, durch die sie auf die Abraumhalden gelangten.
    »Die Deponie
von Ikeja«, sagte Ulla, »ein ehemaliges Feuchtgebiet. Hier lagert fast nur E-Schrott.«
    »Unglaublich!«
    »Ja. Das
ganze unbrauchbare Zeug aus Europa als Almosen für die so genannte Dritte Welt!«
    Alan stand
vor einem haushoch aus den Überresten des digitalen Zeitalters aufgeschichteten
Berg. Monitore von PCs und Fernsehern, Tastaturen, ganze Rechner und ihre Plastikhüllen,
Telefone, Kabel, Lampen, Steckdosenleisten, Aggregate. Dazwischen auch anderer Wohlstandsmüll,
Klamotten, Lumpen, Möbelteile, Plastik.
    Die Wasserlachen
und Pfützen in den Mulden der Halde schimmerten ölig und waren von regenbogenfarbenen
Schlieren überzogen, die heiße Luft schien zu stehen. Es roch nach verbranntem Gummi,
verkohltem Holz, ranzigem Fett und verschmorter Elektronik. Alan hatte Mühe, Luft
zu bekommen.
    Über den
Hightechfriedhof kletterten, geschickt den scharfen Kanten der Metallteile ausweichend,
Kinder und Jugendliche, flink wie Klippschliefer, und sammelten mit bloßen Händen
ein, was ihnen von Wert erschien. Die schlammigen Gassen, über die sie ihre Schätze
transportierten, waren meterhoch von Schrott eingerahmt.
    Ein Junge,
vielleicht acht Jahre alt, trug an die 20, 30 Handys in beiden Armen, zwei andere,
nicht viel älter, transportierten einen Rechner, ein Mädchen mit dicken Narben im
Gesicht balancierte Computerkabel in lockeren Schlingen auf dem Kopf und einige
weitere lose über die Schulter gehängt, und eine Gruppe Zehnjähriger packte Tastaturen
in eine rissige Plastiktüte.
    Am Ende
des aufgetürmten Schrotts warteten ältere Jugendliche und

Weitere Kostenlose Bücher