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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
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über das endlose Meer aus Sand, Stein und Geröll, und am Horizont
gaukeln Luftspiegelungen Oasen, ja ganze Ozeane vor, und Hadé glaubt an den ersten
Tagen so sehr an sie, dass sie ihre Schritte über die scharfkantigen Gesteinsbruchstücke
beschleunigt, um schneller dort anzukommen. Mit der Zeit gewöhnt sie sich an die
Trugbilder, schlingt das Tuch um ihren Kopf und setzt einen Fuß vor den anderen,
Meter um Meter kämpft sie sich durch das öde, brennende Niemandsland.
    Wenn die
Sonne als glutroter Ball hinter Dünen oder zerklüfteten Bergrücken hinter dem Horizont
in die Nacht hinein gleitet, sind sogar Wolken da, aber nicht als Regenbringer,
sondern nur als Vorboten für Mond und Sterne. Bei Nacht hört sie die heimlichen
Bewohner der Wüste, Zikaden und Grillen, die zirpen und das optische Flimmern der
täglichen Hitze nun akustisch fortzusetzen scheinen.
    Ben hat
erzählt, dass die Sterne in der Legende der Tuareg nichts anderes sind als die Löcher
in einem Netz, das die Gazelle über die Wüste spannt, um die Trappe, die sie liebt,
darin zu fangen. Doch bei Morgengrauen flieht die Trappe erneut, um dem Tageslicht
nicht ihre Hässlichkeit zu zeigen.
    Ist es derselbe
Grund, aus dem sich auch die Tuareg verschleiern? Hadé hat nie das Gesicht eines
der drei Reiter zu sehen bekommen, nur für die Augen lässt der Tagelmust, den sie
sich auf ihre traditionelle Weise um den Kopf geschlungen haben, einen schmalen
Schlitz frei. So sehen sie aus wie Ritter aus einer fernen Welt, geheimnisvolle
Kämpfer für ein freies Leben. Hadé weiß nicht, ob die Tuareg ihnen deshalb den Weg
in die Freiheit zeigen oder nur des Geldes wegen.
    Sobald die
Sonne untergegangen ist, kommen die angenehmsten Stunden des Tages. Sie rasten im
Lager, bekommen Wasser und Hirse, pflegen ihre Wunden und genießen es, wenn die
Temperaturen von Luft und Boden eins werden. Es scheint kein Lebewesen zu geben
in dieser kargen Welt aus Fels und Sand, die nicht einmal einer Heuschrecke oder
einem Tausendfüßler Lebensraum bieten zu scheint. Doch dann kehrt Rhissa ag Jebrim
von einem Jagdausflug zurück, hat eine Schar Streifenflughühner und einen Wüstenfuchs
erlegt, und sie hat Angst, eines Tages ohne die Tuareg zu erwachen, die sie zielsicher
von Lager zu Lager führen.
    Bei Nacht
plagt sie die eisige Kälte, die in die letzten Falten ihrer Tücher kriecht, die
von unten durch den Sand kommt und sich in ihre Körper schleicht, die den Schlaf
unterbricht und sie martert. Und dann hört sie die Geräusche der Nacht, die Eule
– Vogel des Unheils – das heisere Bellen der Kamele, spürt den Windhauch, wenn die
Fledermäuse aus einer Höhle in den Felsen zur nächtlichen Jagd aufbrechen. Und sie
hat wieder Angst. Vor den Skorpionen, die sich bei Nacht in die Schuhe schleichen,
und vor der Viper, deren Spur im Sand ihr Ben am Tag gezeigt hat.
    Bei Sonnenaufgang
erhebt sich das Lager. Bis auf die Menschen, die in der Nacht gestorben sind. Man
lässt sie einfach zurück. Tote am Wegrand, denen nachfolgende Karawanen Kleidung
und Schmuck stehlen werden, sofern ihn die Verwandten nicht mitnehmen, weil ihnen
die Last einer Perlenkette oder eines Rings zu schwer ist.
    Am Tag plagen
sie die sengende Hitze, die unbarmherzige Kraft der Sonne, der brennende Sand, der
in die Schuhe rieselt, und der Wind, der jeden Atemzug zur Qual werden lässt. Die
einzigen Geräusche sind ihre Schritte und das Keuchen der beschwerlich Gehenden,
sonst herrscht eine Stille, die Hadé Angst macht.
    Es geschieht
immer häufiger, dass sich die beiden Schwestern den ganzen Tag über beim Marsch
durch die Wadis aus den Augen verlieren und sich erst am Abend wieder finden. Auch
Corinne sieht Hadé nur noch alle paar Tage.

37
     
    »Du hast noch immer die leuchtenden
Augen von damals!«, sagte Alan Scott, und Ulla strahlte. Sie hatte an der Hotelrezeption
auf ihn gewartet, und er lud sie zum Frühstück ein.
    »Du solltest
mich nicht so ansehen!«, mahnte er grinsend und drückte ihr zwei Küsschen auf die
Wangen.
    »Wie kommt
es, dass du in Lagos bist?«, fragte er, als sie in dem einfachen Frühstücksraum
saßen und auf den Kaffee warteten. Durch das breite, verschmierte Fenster neben
ihrem Tisch sahen sie hinaus auf die Straße, und Alan beobachtete den dichten Verkehr.
Hupende Taxis drängten sich zwischen heillos überladenen Lastwagen, Tankwagen, die
schief auf ihren Achsen hingen und deren Reifen keinen Millimeter Profil aufwies,
schoben sich, schwarzen Rauch

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