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Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Titel: Verschlungene Wege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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ganze Gebäude könnte um drei Uhr früh in Flammen aufgehen. Das war durchaus möglich. Dann würde sie so schnell wie möglich ins Freie fliehen müssen. Die Taschenlampe neben dem Bett war eine reine Vorsichtsmaßnahme.
    Das Kribbeln in ihrer Brust ließ sie sehnsüchtig an die Schlaftabletten in ihrem Waschbeutel denken. Doch die und die Antidepressiva gegen die Panikattacken waren einzig und allein für den Notfall bestimmt, ermahnte sie sich. Sie hatte schon seit Monaten keine Schlafmittel mehr genommen, und heute Abend war sie müde genug, um auch ohne einzuschlafen. Sollte es tatsächlich einen Kurzschluss geben, wäre sie viel zu groggy und langsam. Dann würde sie verbrennen oder an einer Rauchvergiftung sterben.
    Bei dem Gedanken daran musste sie sich auf die Bettkante setzen. Sie stützte den Kopf in die Hände und verfluchte ihre lebhafte Fantasie.
    »Hör auf damit, Reece. Hör sofort auf damit und geh ins Bett. Du musst morgen früh raus und solltest dich verhalten wie ein ganz normaler Mensch.«
    Sie kontrollierte ein weiteres Mal alle Schlösser, bevor sie zu Bett ging. Sie lag regungslos da und hörte ihr Herz pochen, hörte auf die Geräusche aus dem Nebenzimmer, aus dem Flur und vor dem Fenster.
    Sie befand sich in Sicherheit, redete sie sich ein. Sie war absolut sicher. Hier würde kein Feuer ausbrechen. Hier würde keine Bombe explodieren, niemand würde einbrechen, um sie hinterrücks im Schlaf umzubringen. Der Himmel würde ihr nicht auf den Kopf fallen.
    Aber sie ließ den Fernseher leise weiterlaufen und ließ sich von dem alten Schwarzweißschinken in den Schlaf lullen.
     
     
    Der Schmerz kam wie ein Schock. Er war derart heftig, dass sie nicht mal mehr schreien konnte. Ein schwarzer Amboss lastete schwer auf ihrem Brustkorb, sie saß in der Falle. Er quetschte ihre Lunge zusammen, sodass sie keine Luft mehr bekam, sich nicht mehr bewegen konnte. Ein Hammer schlug auf den Amboss, zertrümmerte ihren Schädel, ihren Brustkorb, hämmerte wie wild auf sie ein. Sie rang nach Luft, aber der Schmerz war zu viel für sie, und die Angst übertraf sogar noch ihren Schmerz.
    Sie waren da draußen, draußen in der Dunkelheit. Sie konnte sie hören, hörte, wie das Glas splitterte, die Explosionen, und was noch viel schlimmer war, die Schreie.
    Aber noch schlimmer als die Schreie war das Lachen.
    Ginny? Ginny?
    Nein, nein, nicht schreien, bleib so still wie möglich. Besser sie starb hier in der Dunkelheit, als dass man sie fand. Aber sie kamen näher, kamen, um sie zu holen. Sie konnte ein Wimmern nicht unterdrücken, konnte nicht verhindern, dass ihre Zähne laut aufeinanderschlugen.
    Das plötzliche Licht blendete sie, und die hemmungslosen Schreie, die in ihrem Kopf explodierten, kamen ihr vor wie ein wildes Heulen.
    »Da lebt noch eine.«
    Sie schlug und trat erschöpft nach Händen, die nach ihr griffen.
    Sie wachte schweißgebadet auf, spürte das Wimmern noch in der Kehle, als sie nach ihrer Taschenlampe griff und diese umklammerte wie eine Waffe.
    War da jemand? Vor ihrer Tür? Vor dem Fenster? Sie saß zitternd und zähneklappernd da und lauschte auf ein Geräusch. Als eine Stunde später die Wecker gingen, saß sie senkrecht im Bett, die Taschenlampe noch in der Hand, während sämtliche Lichter im Zimmer brannten.

3
     
    Nach dieser heftigen Panikattacke fiel es ihr schwer, sich der Küche und den Kollegen zu stellen, so zu tun, als sei sie völlig normal. Aber sie war nicht nur vollkommen pleite, sondern hatte auch versprochen zu kommen – pünktlich um sechs Uhr früh.
    Die zweite Möglichkeit bestand darin, heimzufahren und sich zu verkriechen. Doch dann wären all die Monate mit winzigen Fortschritten völlig umsonst gewesen. Ein Anruf genügte, und man würde sie retten.
    Aber dann wäre sie erledigt.
    Sie versuchte sich ausschließlich auf das Nächstliegende zu konzentrieren. Dass sie es schaffte, sich anzuziehen, war bereits ein kleiner Sieg, und dass sie ihr Zimmer verließ, ein weiterer. Als sie dann auf die Straße trat und ihre Schritte zum Diner lenkte, fühlte sich das an wie ein kleiner, persönlicher Triumph. Die Luft war kalt – der Winter war immer noch gegenwärtig, sodass sie ihren Atem in der Morgendämmerung sehen konnte. Die Berge waren dunkel, ihre mächtige Silhouette hob sich vom Himmel ab – jetzt, wo der große Mond hinter ihren Gipfeln verschwunden war. Unten erstreckte sich ein langes Nebelband. Dunstschleier stiegen vom See auf und waberten um die kahlen

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