Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
das nicht gerade für meine geistige Gesundheit spricht. Aber ich habe es wieder gutgemacht, indem ich alles wieder ausgepackt und es noch dazu geschafft habe, hierher zu kommen. Ich komme schon klar. Ich funktioniere.«
»Sie brauchen sich nicht zu verteidigen«, erklärte ihr der Doc. »Sie können sich nicht mehr daran erinnern, dass sie Ihre Sachen gepackt haben?«
»Nein, kann ich nicht. Und ja, das beängstigt mich. Ein anderes Mal hab ich Sachen falsch eingeräumt und konnte mich ebenfalls nicht mehr daran erinnern. Aber damit kann ich umgehen. Vor einem Jahr hätte ich noch nicht damit umgehen können.«
»Was für Medikamente nehmen Sie?«
»Gar keine.«
»Auf ärztlichen Rat hin?«
»Nicht unbedingt. Ich hab erst dies und dann das abgesetzt. Und seit einem halben Jahr nehme ich gar nichts mehr. Die Medikamente haben mir geholfen, als ich sie gebraucht habe. Ich weiß sehr wohl, dass sie mir geholfen haben, mein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Aber ich kann kein normales Leben führen, wenn die Medikamente meine Gefühle unterdrücken oder zudecken. Sie haben mir geholfen, das Schlimmste durchzustehen, aber das letzte Stück muss ich allein gehen. Ich möchte endlich wieder ich selbst sein.«
»Werden Sie mich aufsuchen, wenn sie eines Tages medizinische Hilfe in Anspruch nehmen wollen?«
»Einverstanden.«
»Darf ich Sie untersuchen?«
»Ich will keine …«
»Eine ganz normale Routineuntersuchung, Reece. Wann waren Sie das letzte Mal beim Arzt?«
Jetzt seufzte sie. »Vor einem Jahr oder so.«
»Warum kommen Sie nicht gleich morgen früh in meine Praxis?«
»Ich hab die Frühstücksschicht.«
»Dann eben morgen Nachmittag, um drei. Es wird mir ein Vergnügen sein.«
»Das ist nicht fair«, murmelte sie. »Aber meinetwegen. Ihr Haus gefällt mir. Mir gefällt, dass Sie das Zimmer so gelassen haben, wie es Ihre Frau mochte. Eines Tages möchte ich auch so ein Zimmer haben und jemanden, der mich so sehr liebt, dass er es für mich in Ordnung hält. Ich versuche, diesem Ziel näher zu kommen.« Sie stand auf. »Ich muss zur Arbeit.«
Er erhob sich ebenfalls. »Also dann bis morgen um drei Uhr.« Er reichte ihr die Hand, wie um eine Abmachung zu besiegeln.
»Ich werde kommen.«
Er begleitete sie zur Tür, als Brody aus der Küche kam. Draußen auf der Straße ging Brody zu seinem Auto.
»Ich laufe lieber«, sagte Reece. »Ich brauche etwas frische Luft und habe noch genügend Zeit, bis meine Schicht beginnt.«
»Gut. Dann begleite ich dich und lass mir von dir ein schönes Mittagessen kochen.«
»Du hast doch gerade erst Plätzchen gegessen.«
»Na und?«
Sie schüttelte den Kopf. »Du wirst den ganzen Weg wieder zurücklaufen müssen, um dein Auto zu holen.«
»Dann trainiere ich mir gleich das Mittagessen ab. Hast du gegrilltes Huhn im Programm?«
»Na klar. Aber das steht heute nicht auf der Speisekarte.«
»Dann verlang einen Aufpreis. Ich habe heute Lust auf ein knuspriges Grillhähnchensandwich mit Zwiebelringen. Geht’s dir jetzt besser?«
»Ich denke schon. Doktor Wallace hat so eine Art, alles nett zu verpacken.« Sie steckte die Hände in die Taschen ihres Kapuzensweatshirts, das sie gegen die Frühlingskälte trug. »Er hat mich auf eine sehr onkelhafte Art dazu gebracht, morgen in seine Sprechstunde zu kommen. Aber ich nehme an, du wusstest, dass er das vorhatte.«
»Er hat so was erwähnt. Er gehört zu den Leuten, die in alles ihre Nase stecken müssen. Aber auf eine nette, fürsorgliche Art. Er hat mich gefragt, ob wir miteinander schlafen.«
»Warum denn das?«
»Na, das ist eben typisch er. Sobald du in Angel’s Fist lebst, gehörst du zu seinen Schäfchen. Eines kann ich dir mit Sicherheit sagen: Wenn diese Frau wirklich Zeit in Angel’s Fist verbracht hätte, würde er sie kennen. Der Hund vom Sheriff ist schon wieder im See. Der schwimmt lieber als zu laufen.«
Sie blieben beide stehen, um zuzusehen, wie der Hund begeistert durchs Wasser paddelte. Sein Kielwasser brachte die sich im See spiegelnden Berge zum Tanzen.
»Wenn ich hierbleibe, werde ich mir einen Hund anschaffen und ihm beibringen, mir Bälle aus dem See zu apportieren. Genau wie – wie heißt sie noch gleich? – ach ja, Abby das mit Moses hier macht. Ich werde mir eine Hütte mieten, damit er draußen sein kann, wenn ich arbeite. Meine Großmutter besitzt einen Zwergpudel namens Marceau. Er reist überallhin mit.«
»Ein Zwergirgendwas namens Marceau ist doch kein Hund.«
»Oh
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