Verschlußsache Satan
Die Nonne lag unter mir. Sie hatte den Schreck überwunden und begann sich zu wehren. Sie tobte, sie spie, und ich schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Das steigerte ihr Brüllen noch. Mit einer wilden Bewegung wuchtete ich sie herum, sodass sie jetzt so lag, wie die Frau des Pfarrers gelegen hatte. Auf dem Bauch, und ich kniete auf ihrem Rücken. Mit einer Hand drückte ich das Gesicht gegen den Steinboden. Ich hörte hinter mir Stimmen und Schritte, und plötzlich war Suko an meiner Seite.
»Gut gemacht, John!«
»Nein, Glück gehabt. Selbst dein Stab hätte mir nicht helfen können. Ich habe sie und ihren Hass unterschätzt.«
Neben meinem rechten Ohr hörte ich das Klingeln. Suko hatte seine Handschellen mitgenommen, und wenig später umklammerten sie die Handgelenke der Frau.
Sie wehrte sich jetzt nicht mehr. Schon zu ruhig blieb sie liegen. Apathisch. Wie jemand, der aufgegeben hat.
Ich zerrte ihr die Kapuze vom Kopf.
Mein Blick fiel auf einen haarlosen und blanken Schädel. Darauf wuchs kein einziges Haar. Die Frau besaß tatsächlich eine Glatze. Das war keiner dieser modernen Schnitte, wie man sie des Öfteren auf Modefotos sieht, diese Haarlosigkeit musste einen anderen Grund haben.
Suko machte mir Platz, damit ich sie hochziehen konnte. Der Pfarrer und seine Frau standen zusammen. Sie hielten sich umarmt, und beide weinten.
Ich bedankte mich bei Doro Newton, war mir jedoch nicht sicher, ob sie mich überhaupt hörte.
Es war dunkel in der Kirche, aber nicht so dunkel, als dass ich das Gesicht der Frau nicht hätte erkennen können. Okay, wenn jemand keine Haare auf dem Kopf hat, kann man ihn selten als Schönheit bezeichnen, besonders keine Frau, aber diese hier war etwas anderes. Sie sprühte vor Hass. Vielleicht war ihr Gesicht mal nett gewesen, doch jetzt wirkten die Züge hart wie Stein, und ich sah in ihren Augen eine erschreckende Kälte.
Ich drückte sie in eine Bank hinein. Am Rand blieb sie sitzen. Ich ging in die Bankreihe vor ihr und schaute auf sie hinab. Suko blieb an der Seite stehen.
»Ich denke«, sagte ich mit leiser, aber verständlicher Stimme, »dass es für eine Unterhaltung genau die richtige Zeit ist. Sie verstehen?«
»Klar.«
»Okay.«
»Aber ich werde nichts sagen. Ich habe es nicht fertig gebracht, dich aufzuhalten. Das ist mein Problem, und damit muss ich fertig werden. Aber ich bin keine Verräterin. Auch wenn ich nicht mehr bin, werden wir gewinnen.«
»Wer ist wir?«
»Meine Schwestern und ich.«
»Wie nennt ihr euch?«
Sie warf ihren Kopf zurück und lachte. Es kam mir vor wie eine gespielte Szene, und ich hatte Recht damit, denn sie wollte mich tatsächlich ablenken.
Noch während ihr Kopf die andere Haltung eingenommen hatte, hörte ich ein leises Knirschen. Dieses Geräusch entsteht, wenn leichtes Glas zerbricht. Wie bei einer dünnen Ampulle.
Genau das war hier der Fall.
Das Glas war nicht außen zerbrochen, sondern im Mund der kahlköpfigen Frau.
Alarm!
Ich warf mich ihr entgegen. Suko, der das Geräusch ebenfalls vernommen hatte, versuchte es von der Seite. Gemeinsam rissen wir der Frau den Mund so weit wie möglich auf und sahen schon den Schaum, der dicht vor ihren Lippen sprühte und sich auch im Innern am Rand des Mundes verteilte.
Der Geruch, der uns entgegenwehte, sagte eigentlich alles. Es roch nach Bittermandel. Beinahe schon eine prosaische Umschreibung für das Gift Zyankali.
Noch lebte sie. Der Hass auf uns hielt sie wohl aufrecht. Und sie war in der Lage, uns etwas zu sagen. Die Worte drangen zusammen mit dem Schaum aus ihrem Mund.
»Verschlusssache Satan – ihr... ihr... könnt sie nicht aufhalten!« Danach hörten wir einen würgenden Laut. Dann zuckte die Frau in unserem Griff hoch und brach einen Moment später zusammen. Verkrampft und verkrümmt blieb sie auf der Sitzfläche liegen.
Wir hatten nichts mehr für sie tun können. Und somit war die einzige Spur gelöscht.
Ich verließ meine Bank kopfschüttelnd und hob dabei die Schultern. Dieser Ausdruck drückte aus, wie ich mich fühlte. Irgendwie leer und verloren.
Mit unsicheren Schritten kam Erwin Newton auf mich und Suko zu. »Ist sie tot?«, fragte er.
»Leider.« Ich deutete auf die Leiche. »Wir haben nichts mehr für sie tun können. Das Zyankali wirkte zu schnell. Eine alte Methode, sich das Leben zu nehmen, aber noch immer verdammt wirksam. So stehen wir wieder am Beginn.«
»Sie mag gewesen sein, wie sie will, Mr. Sinclair. Trotzdem war sie ein Mensch.
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