Verschwörung beim Heurigen
Wasser«, bemerkte Ellen. »Das war hier früher See, er hat sich zurückgezogen, in den Mulden
die Lacken zurückgelassen, sie schaffen unser Klima, die Feuchtigkeit, die wir für unsere edelsüßen Weine |333| brauchen. Die Feuchtigkeit des Sees lässt im Herbst die Morgennebel entstehen. Am Vormittag wird es wieder warm, ja heiß.
Das ist die wichtigste Voraussetzung für die Entstehung von
Botrytis cinerea,
der sogenannten Edelfäule: Wärme und Feuchtigkeit. Die Pilze durchbohren die Haut der Beeren, das Wasser darin verdunstet,
und zurück bleiben grauslich verschrumpelte Trauben, blau, lila und graubraun, mit Schimmel. Die ganze Kraft, der Zucker und
der Extrakt an Geschmacksstoffen wird konzentriert. Wir lesen natürlich viel weniger, vom Gewicht her.«
Deshalb sind die Flaschen auch kleiner, dachte Carl, der Süßweinen bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Er wusste
vom Eiswein an der Mosel, vom Sauternes, der am Ufer des Ciron entstand, aber die burgenländischen Edelsüßen waren ihm unbekannt.
»Natürlich spielt auch der Boden eine entscheidende Rolle«, fuhr die Winzerin fort. »Hier am See haben wir Schwemmsand und
feinste Kiesel, gut für meinen Welschriesling, unsere sogenannte k. u. k. Traube, sie bekommt nur hier ihre filigrane Struktur
und wird fruchtiger als weiter im Osten. Andere Rebsorten entwickeln auf diesem Boden zu wenig Säure. Ohne sie wäre ein Süßwein
viel zu plump und mächtig. Erst Säure macht ihn leicht und genießbar.«
Nach der Rundfahrt durch die Lacken und Weingärten, auf der Ellen mehrmals hielt und erklärte, gelangten sie vor Illmitz wieder
auf dunklere, mineralischere Böden aus Lehm, Kalk und Schotter. Diese Bodenbeschaffenheit machte die Weine säurehaltiger,
verlieh ihnen Aromen und einen stärkeren Ausdruck. Carl, ein Anhänger von feinen und leichten Weinen, war gespannt auf die
Probe. Ob er die Unterschiede auch beim Süßwein schmecken würde? Wenn er sie direkt nacheinander probieren würde und sie vergleichen
könnte, die Gläser vor sich, dann ja.
Ellen tat ihm den Gefallen. Links stand als Erstes eine Cuvée, es war eine Beerenauslese, in der Welschriesling mit |334| Chardonnay verbunden war: sehr fein und sehr fruchtig. Bei der Beerenauslese des Sämlings, einem eher frischen Wein, schmeckte
er deutlich das Aroma von Mirabelle. Dann kam ein Eiswein, wieder Welschriesling, grandios geradezu in der Fülle seiner Aromen.
Bei minus zehn Grad waren die Trauben gelesen und in gefrorenem Zustand sofort gepresst worden. Hundert Jahre hielt sich ein
derartiger Wein. Die Trockenbeerenauslese von 1998 hatte die Farbe von schwarzem Tee angenommen, war durch den Zucker leicht
karamellisiert und floss wie Öl ins Glas.
Wenn er sonst probierte, spuckte Carl aus, doch hier trank er und merkte, wie ihm der Wein sofort zu Kopfe stieg. Er hörte
kaum noch Ellens Erklärungen über Mostgewichte zu, die Unterschiede zwischen Öchslegraden und Klosterneuburger Mostwaage rauschten
an ihm vorbei. Dass Süßweine entsprechend ihres Zuckergehalts in Beerenauslese, Ruster Ausbruch und Trockenbeerenauslese eingeteilt
wurden, ging zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus. Je mehr er trank, desto mehr schweiften seine Gedanken ab, er
dachte an Johannas Ekel vor dem Verkosten und dem Ausspucken – wo hatte sie Marias Weißen Burgunder gekauft? Es gab ihn entweder
in der Weinakademie in Neusiedel oder direkt ab Hof. War sie da gewesen? Um ihm zu schaden? Gleich würde Ellen auf Marias
Mörder zu sprechen kommen. Doch sie sprach von der Alterung im klassischen 30 0-Liter -Fass aus Akazie, von der Bestockungsdichte und der Konkurrenz zwischen Rebstöcken, bis sie seine Unaufmerksamkeit bemerkte.
Sofort wechselte sie das Thema und erkundigte sich nach dem Stand seiner Nachforschungen. Er antwortete schleppend, deprimiert,
der Alkohol zog ihn runter und löste ihm gleichzeitig die Zunge. Er musste das alles hier hinter sich bringen, eine Woche
blieb ihm noch dafür.
Er erzählte vom Besuch bei Thomas Turn, wie unsympathisch der Mann gewesen sei, und etwas musste in Carls Stimme gewesen sein,
was Ellen hellhörig machte. Der Verdacht |335| gegen ihn, nein, nicht gegen Thomas Thurn, sei nicht beseitigt, obwohl er meinte, den Täter gesehen zu haben, was die Winzerin
mit Entsetzen vernahm. Nicht, dass er einen bestimmten Verdacht habe, »denn ich will ja niemanden ungerechtfertig beschuldigen«,
doch er wird seine Pläne
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