Verschwoerung der Frauen
uns den gleichen Preis abverlangen.
Vom Jahre des Ford-Coupés an nahmen Dorindas sexuelle Abenteuer ihren Lauf, wurden immer gewagter, und Dorinda wurde, wie es Nellie und mir schien, immer weniger wählerisch, was die Objekte ihrer Amouren betraf. Hin und wieder ließ sich Dorinda auch mit einem Sprößling aus reicher Familie ein – bis sie ihm erzählte (was sie früher oder später immer tat), sie sei Jüdin. (Sie sah nicht jüdisch aus, und da sie eine christliche Mutter hatte, war sie dem jüdischen Gesetz nach auch keine Jüdin, aber sie konnte es sich einfach nicht verkneifen, jedermann zu schockieren.) Sie heiratete keinen Juden und tauchte heiter in die erlauchte gesellschaftliche Sphäre der Reichen New Yorks ein.
Ich glaube, als Dorindas Mutter etwas von den sexuellen Beutezügen ihrer Tochter zu ahnen begann, kamen sie und ich uns näher.
Heute weiß ich, warum: Wir waren beide Außenseiter in jener Familie, zu der auch Nellie schließlich qua Geburt gehörte. Wir waren christlich, von Natur aus konservativ, und exaltiertes Verhalten bereitete uns Unbehagen. Während meiner Collegejahre besuchte ich 40
Dorindas Mutter immer, wenn ich nach New York kam. Inzwischen hatte sie mich gebeten, sie Eleanor zu nennen. Mehr als einmal stellte ich mir vor, sie sei in Wirklichkeit meine Mutter und habe mich aus irgendwelchen mysteriösen Gründen meiner Haushälterin-Mutter übergeben. Eleanor und ich verstanden einander weit besser als unsere realen Partnerinnen in der Mutter-Tochter-Dyade.
Heute weiß ich, daß Eleanor von Grund auf konservativ war. Bereitwillig akzeptierte sie die Normen ihrer eigenen Klasse und derje-nigen, in die sie eingeheiratet hatte. Im Grunde traute ich ihr keine andere Rolle zu als die der Ehefrau eines reichen Mannes. Heute weiß ich, daß sie, im Gegensatz zu Dorinda und meiner Mutter, verstand, an welchem Abgrund ich entlangwanderte. Sie verstand es, weil sie selbst die gleiche Gratwanderung vollführte. Schon damals wollte ich mehr vom Leben als Eleanors Reiche-Frau-Dasein – obwohl diese mit Wohlstand gesegneten Frauen immer die größte Freiheit zu haben schienen. Aber egal welche Gefühle ich meiner Mutter gegenüber hatte: Ich wußte, daß sie, als Witwe und arbeitende Frau, ihre eigene Herrin war, auch wenn sie für andere den Dienstboten spielte. Trotz ihres glanzvollen Lebens arbeitete Eleanor genauso hart, und ihre Tage waren wahrscheinlich von mehr Sorgen erfüllt als die meiner Mutter. Eleanor schien immer innerlich zu zittern.
Ganz ungerechtfertigt war es also nicht, daß ich ihr weder Autono-mie noch Selbstsicherheit zutraute. Welchen Vorteil hatte Reichtum, so dachte ich, wenn es nur Anspannung und Ängstlichkeit bedeutete?
Eleanor machte sich vor jeder Mahlzeit Sorgen und nach jeder. Sie sorgte sich wegen des jährlichen Umzugs an die Küste und sorgte sich wegen der Rückkehr nach New York, und sie sorgte sich um den Zustand des Sommerhauses. Sie sorgte sich wegen Sigs spontan eingeladener Gäste (kein Wunder, daß immer genug Essen für die Kadetten im Haus war), aber die größte Anspannung, so hatte ich den Verdacht, bereitete ihr der Umgang mit den reich geborenen Leuten, bei denen sie sich benehmen mußte, als käme sie aus denselben Kreisen.
Weil ich schon als junges Mädchen die Ängste und Unsicherheiten Eleanors instinktiv verstand, kann ich heute mit Recht behaupten, daß es mir an einem Rollenvorbild fehlte. Gewiß, es fehlte mir, aber immerhin bekam ich eine gute Schulbildung und damit die Chance, mich für eine berufliche Karriere zu entscheiden. Meine Mutter führ-te anderen Frauen den Haushalt und machte sich dadurch in meinen Augen zur Närrin und ebensosehr zur Sklavin wie die Frauen, für die 41
sie arbeitete. Im Gegensatz zu Dorinda gelang es mir auch nicht, Hilda zu bewundern, die den Sohn eines berühmten Mannes geheiratet hatte. Meiner Ansicht nach war sie dadurch nicht von den wenigen Pfaden abgewichen, die Frauen zugestanden wurden. Sie hatte ihre sexuelle Attraktivität eingesetzt, um sich Zugang zu den interessanten Künstlerzirkeln zu verschaffen. Heute bin ich mir fast sicher, daß meine Mutter Hildas Heirat mit Emile ebenso scharf verurteilte wie Eleanor. Aber meine Mutter sprach nie mit mir über ihre Einstel-lung zu den Familien, für die sie arbeitete, schon gar nicht über die Goddards. Und zu Eleanors Verhaltenskodex gehörte es, ihre Meinung für sich zu behalten. Nur mir gegenüber öffnete sie sich mit der Zeit und
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