Verschwoerung der Frauen
der verquollene Säugling gezeigt wurde, schniefte er verächtlich und sagte, sie sehe aus wie ein jüdischer Komödiant. Das weiß ich von Dorinda, der er die Geschichte oft erzählt hat. Ich kann mir aber gut vorstellen, wie er, der unbekümmerte Mann, sich im gleichen Moment um seine angebetete Schwester Hilda sorgte, die in Frankreich kurz vor der Geburt stand.
Eleanor war Sigs Sekretärin gewesen. Vielleicht hatte er sie geheiratet, weil sie fügsam, tüchtig und ordentlich war, vielleicht auch, weil sie sonst nicht mit ihm geschlafen hätte. Sig war so attraktiv, daß eine Frau, die sich ihm verweigerte, zweifellos eine neue Erfahrung für ihn war. Später erzählte Eleanor mir, die Goddards hätten darauf bestanden, daß sie für Dorinda ein Kindermädchen einstellte; aber jedesmal, wenn das Mädchen Dorinda ausfuhr, lief Eleanor in diskretem Abstand hinterher, um sicherzugehen, daß ihrem Kind nichts passierte. Manchmal setzte sie sich durch und fuhr Dorinda selbst in dem eleganten Kinderwagen spazieren. Es sei schrecklich gewesen, erzählte sie mir später. Dorinda schien instinktiv zu spüren, daß sie es mit jemand Wehrlosem zu tun hatte, und gleich, welche Richtung Eleanor einschlug, Dorinda hörte vor Zorn auf zu atmen, lief vor den Augen ihrer entsetzten Mutter blau an, bis Eleanor sich geschlagen gab und fuhr, wohin Dorinda wollte. Eleanor war sich sicher, daß das Kindermädchen nie solche Probleme hatte.
Als die Kinderschwester von einer Gouvernante abgelöst wurde, also kurz ehe ich Dorinda kennenlernte, hatte Eleanor gelernt, ihre elegante Robe mit größerer Selbstverständlichkeit zu tragen. Sie war von Natur aus eine Dame, brauchte aber einige Jahre, bis sie Zutrau-en zu sich selbst und ihrer Autorität faßte, zumindest der Diener-schaft und den Kreisen der Goddards gegenüber. Allerdings glaube ich nicht, daß sie sich je stark genug fühlte, Dorinda zu lenken. Oft erzählte sie mir Geschichten, wie Dorinda über sie triumphierte, erzählte sie aber so, als sehe sie darin nicht den Beweis für ihr eigenes Versagen, sondern für Dorindas Willenskraft. Wahrscheinlich war Eleanor von uns allen am meisten überrascht, als Dorinda plötzlich einen so konventionellen Weg einschlug. Es sah fast so aus, als hätten sich zwanzig Jahre nach ihrer Geburt plötzlich und unverse-hens die Gene ihrer Mutter durchgesetzt.
Derweil bewegte Hilda sich mit unendlicher Anmut und unendli-chem Reichtum in den Künstlerkreisen von Paris. Es war die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die Nachtclubs blühten und das 44
Leben pulsierte. Aber obwohl ich mir praktisch alles im Leben der Goddards, bevor ich sie kennenlernte, bildlich vorstellen kann, weigert sich meine Fantasie, den Ozean zu überqueren. Eleanors, Dorindas und Nellies Erzählungen und die späteren Biographien von Emmanuel Foxx sind meine einzigen Anhaltspunkte. Hilda lernte gleich zu Anfang ihrer Zeit in Europa Emmanuel Foxx kennen und wurde –
wie so viele Frauen vor ihr – seine Sklavin. Hilda, die nicht einmal ihre eigene Unterwäsche aufheben oder einen Brief schreiben konnte, tippte Manuskripte für Foxx und unterstützte ihn auf vielfältige Weise – mit Geld, aber auch mit eigener Anstrengung, Mühe und oft sogar Qual.
Gabrielle, Emmanuels Frau, hatte von Anfang an eine tiefe Abneigung gegen Hilda, oder, wie ich eher glaube, Furcht vor ihr –
ihrer Schönheit, ihrem Geld und Emmanuels Faszination für sie.
Aber am Ende erwies sich Emmanuel als resistent gegenüber Hildas Reizen, ihrem Geld und ihren Bemühungen um ihn. Also probierte sie ihren Charme an Emmanuels und Gabrielles zwanzigjährigem Sohn Emile aus. Sie war älter als er und weit erfahrener in der Kunst des Flirtens. Emile war von seinem Vater auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen, billigeren Mieten, ergebeneren Frauen und großzügigeren Mäzenen durch ganz Europa geschleppt worden. Vor Nellies Ankunft in Amerika erzählte mir Dorinda, daß Nellie, wie ihr Vater, vier Sprachen spreche und alle mit jener eigenartigen Kor-rektheit, an der man sofort erkennt, daß es nicht die Muttersprache ist. Emile und Nellie waren Sprachgenies ohne Muttersprache.
Nicht nur wegen des Krieges kam Nellie so bereitwillig zu den Goddards, sondern weil hier ein Ort war, an dem sie sich, zumindest einige Jahre lang, würde zu Hause fühlen können.
Kurz nachdem Hilda und Emile ihre Affäre begonnen hatten, galt er in den Pariser Kreisen als Gigolo. Ich nehme’ an, er konnte sich
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