Verschwoerung der Frauen
blauen Hortensien oder irgendwelche 93
anderen Blumen an. Ansonsten haben Lady Rosseter und ich eine Menge gemeinsam. Ich habe einen Ehemann, mit dem ich seit über zwanzig Jahren nicht mehr richtig gesprochen habe. Sollte die CIA in die Verlegenheit kommen, unsere Telefongespräche abzuhören, wäre sie davon überzeugt, wir benutzten einen Code, denn eine andere Erklärung für eine derart unpersönliche Kommunikation gibt es nicht.« Sie ließ ihre Hand wieder sinken. »Fünf Fakten. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen. Lassen Sie mich das Essen bezahlen. Ich weiß, es war Ihre Einladung, aber Sie können das nächste Mal bezahlen. Dann verspreche ich auch, all Ihre Fragen über Gabrielle zu beantworten. Ich mag Ihre Fragen.«
Kate akzeptierte die Einladung, denn sie wußte, es gab Augenbli-cke, in denen nur das Gefühl zählte, es sei richtig so.
»Wer ist Sally Seton, wenn sie ganz in ihrem Element ist, wie Molly Bloom sich dir zufolge ausdrückt?« fragte Reed am Abend.
Sie tranken Whisky und erzählten sich die Ereignisse des Tages.
Reeds Tag hatte eher aus Frustrationen denn Ereignissen bestanden, wobei die Häufung ersterer für das Fehlen letzterer verantwortlich war, und er war froh, alles zu vergessen und von Dorinda und Sally Seton zu hören.
»Sally Seton ist eine Figur aus Virginia Woolfs Roman ›Mrs.
Dalloway‹ «, sagte Kate. »In ihrer Jugend ist Sally Seton wild und wundervoll, verwandelt sich dann aber in eine schreckliche Dame, die ein Leben voll quälender Etikette und Rechtschaffenheit führt.
Interessant dabei ist, daß nicht nur Dorinda sich selbst so charakteri-siert, sondern auch Anne Sally Seton in ihrem Memoir erwähnt. Zu der Zeit, als die beiden Elizabeth Bowen verschlangen, haben sie wahrscheinlich auch diesen Roman zusammen gelesen.«
»Von Elizabeth Bowen habe ich schon gehört. Sie lebte länger als Virginia Woolf.«
»Korrekt, o du mein lieber Mann, der zuhören kann. Mir war nie klar, wie ungewöhnlich du in dieser Hinsicht bist, bis Dorinda es erwähnte, indirekt natürlich.«
»Ich bin in jeder Beziehung ungewöhnlich. Ich dachte, das wüß-
test du.«
»Nicht zuletzt, weil du mich erträgst.« Beide lachten, denn diese Art Gespräche hatten sie in den verschiedensten Variationen schon oft geführt.
»Willst du Dorindas Mutter bald besuchen?« fragte Reed, als sie bei ihrem zweiten Drink angelangt waren.
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»Ja. Obwohl mit einer zweiundneunzigjährigen Frau zu reden ein schönes Stück Arbeit sein kann. Aber vielleicht überrascht sie mich ja. Dorinda hat mich schließlich auch verblüfft. Es macht mir Spaß, wenn ich merke, wie Leute, die ich in Schubladen gesteckt habe, aus diesen Schubladen herausspringen. Weißt du, was das Überra-schendste an Dorinda war? Rhetorische Fragen, keine Antworten erwünscht. Ihr muß klar gewesen sein, daß ich in Annes Memoir von ihrer wilden Jugend gelesen habe. Das merkte ich spätestens, als sie Sally Seton erwähnte. Trotzdem war sie entschlossen, mir zu trauen.
Ich habe so das Gefühl, daß sie in letzter Zeit nicht vielen Menschen vertrauen konnte. Aber wenn man mit über Sechzig anfängt, seiner eigenen Mutter zu trauen, ist man wahrscheinlich zu allem bereit.«
»Es sei denn«, sagte Reed, »man ist so glücklich, nie in diese La-ge zu kommen. Nicht alle Mütter sind rehabilitationsfähig.«
»Wie wahr! Du hast natürlich wieder recht. Ich darf nicht euphorisch werden und in einem völlig ungerechtfertigten Glauben an die Größe des menschlichen Charakters schwelgen.«
»Wenn man Whisky trinkt, muß man euphorisch werden«, sagte Reed streng, »das gehört zu seinen schönsten Eigenschaften.«
Mit zweiundneunzig bewohnte Eleanor Goddard die Hälfte der Zimmerflucht, in der die Goddards früher gelebt hatten. Ehe das Gebäude an eine Immobiliengesellschaft verkauft wurde, hatte der Hausherr Eleanor überredet, die Hälfte ihrer neun Zimmer auf-zugeben. So blieben ihr ein riesiger Salon ohne den Capehart, ein Eßzimmer, ein großes Schlafzimmer und ein kleineres für ihre Ge-sellschafterin plus zwei und ein halbes Badezimmer. Wie sie Kate erzählte, wollte sie lieber keine Spekulationen über den Preis anstel-len, den der Hausherr für die andere Hälfte ihrer Wohnung bekommen hatte.
Eleanor, wie Kate aufgefordert wurde, sie zu nennen, saß elegant gekleidet im Salon, als Kate zu ihr geführt wurde. Kate hatte sich kaum gesetzt, als Eleanor sagte, Dorinda habe ihren Besuch bereits angekündigt, und sie, Eleanor,
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