Verschwoerung der Frauen
wollte alles loswerden, was ihn an seine Vergangenheit erinnerte.«
Kate versank in Gedanken. »Gibt es irgendeinen Beweis, daß Emile das Päckchen nicht selbst aufgegeben hat?« fragte sie nach einer Weile.
»Meinem Gefühl nach hat er wirklich jemanden damit beauftragt, wahrscheinlich den Mann, der den ersten Brief geschrieben hat.
Warum er mich sehen wollte, werde ich nie verstehen. Daß er mit Gabrielle sprechen wollte, konnte ich nachempfinden – sie hatte ihn vergöttert –, aber warum mich?«
»Sie sehen Gabrielle ähnlich«, sagte Kate. »Zumindest auf den Fotos, die ich von ihr kenne. Vielleicht hatte er wirklich Sehnsucht nach Ihnen, sah in Ihnen aber gleichzeitig das Ebenbild Gabrielles.
Eine romantische Vorstellung.«
»Sehr romantisch«, sagte Nellie und drehte den Stiel ihres Weinglases zwischen den Fingern. »Und wie die meisten romantischen Vorstellungen unwiderstehlich. Sie werden nicht glauben, wie viele Leute mir erzählt haben, ich sei die zweite Gabrielle – Emile sei mit seiner Tochter die Mutter wiedergeboren worden. Selbst ich war immer stolz darauf, daß ich ihr so ähnelte. Nur eins haben die Leute immer übersehen: daß auch Emmanuel Foxx sehr englisch aussah.«
Kate starrte Nellie an, ihr Hirn weigerte sich einen Moment, zu begreifen, was ihr da mitgeteilt wurde. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
Nellie brach es.
»Ich bin überhaupt nicht mit Gabrielle verwandt«, sagte sie. »Jedenfalls nicht blutsverwandt – nimmt man dagegen Liebe als Krite-rium, bin ich ihr sehr verwandt.«
»Gabrielle wußte natürlich Bescheid. Hilda hätte alles getan, um einem Genie ein Kind zu gebären. Ich nehme an, sie verführte kurz darauf Emile, um ihre Affäre zu kaschieren. Aber um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Sie hätte es wahrscheinlich vor Emile und 114
allen anderen verheimlicht – nach einer Weile bestimmt sogar vor sich selbst. Aber mein Großvater konnte seine Häme nicht unterdrü-
cken – sich das stolze Grinsen über seine Tochter nicht vom Gesicht wischen. Oh, gewiß, er sprach stets von mir als seiner Enkelin, aber es war nicht meines Großvaters Art, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Außerdem hatte er sich immer mehr Kinder gewünscht, aber es kam nie dazu. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht sorgte Gabrielle dafür, daß sie nicht mehr schwanger wurde. Emmanuel war bekannt dafür, daß er Verhütungsmittel haßte. Aber vielleicht hat sie es ihm nicht erzählt. Ich bin sicher, sie hat ihm immer nur soviel erzählt, wie sie ihm erzählen wollte.«
»Seit wann wissen Sie es?«
»Wahrscheinlich schon immer. Aber Verleugnung und Verdrängung sind nur zu bequem. Wirklich zur Kenntnis nehmen mußte ich es erst, als Emile 1951, kurz nach Dorindas Hochzeit, mit mir dar-
über redete. Er hatte das Gefühl, sein Leben lang betrogen worden zu sein, und so war es ja wohl auch. Er konnte es einfach nicht ertragen, ständig an seinen großen, interessanten, berühmten Vater erinnert zu werden. Und als der Krieg kam und so viele Dokumente verloren-gingen oder verwechselt wurden – von Menschen oder Ländern ganz zu schweigen –, sah Emile seine Chance gekommen: Er beschloß, zu sterben und ein neues Leben anzufangen.«
»Aber warum hatte er den Wunsch, es Ihnen zu erzählen?«
»Tja, da haben Sie’s. Das ist die Frage, nicht wahr? Er wollte, daß jemand Bescheid wußte. Nun, Gabrielle kannte die Wahrheit ohnehin. Emile bat mich, dafür zu sorgen, daß niemand sonst davon erführe. Er fürchtete, Gabrielle könnte es in einem Brief erwähnt haben. Deshalb wollte er, daß ich alle Briefe, derer ich habhaft werden konnte, verbrannte. Ich bin sicher, daß Gabrielle darüber weder schrieb noch sprach – heute verstehe ich natürlich, daß sie Hilda wegen dieser Affäre so verachtet hat –, aber Emile war wie besessen, alle Spuren seiner Vergangenheit zu vernichten. Ich kann verstehen, warum. Sie nicht auch?«
Kate wußte nicht, ob dies wirklich als Frage gemeint war, und wenn ja, was sie antworten sollte. Aber Nellie, die immer noch den Stiel ihres Weinglases zwischen den Fingern drehte, wartete offensichtlich auf eine Antwort.
»Trotzdem hat Gabrielle Sie sehr geliebt«, sagte Kate schließlich.
»Ich weiß. Heute denke ich oft, wie sehr es sie verletzt haben muß, daß ich unbedingt nach Amerika gehen wollte. Aber das Leben 115
zu Hause war entsetzlich. Wäre ich älter gewesen und nicht so egois-tisch, wie die Jugend eben ist, ich wäre
Weitere Kostenlose Bücher