Verschwörung der Sieben
zog einen Notizblock heraus. »Da wir seine Leiche noch haben, sind wir über ihn etwas besser im Bilde. Haben ihn anhand der Fingerabdrücke identifiziert. Er heißt Benjamin Ratansky, ist dreiundfünfzig und stammt aus Aldrich, Illinois. Komischerweise haben unsere Nachforschungen ergeben, daß er eigentlich gar nicht tot sein kann. Der Computer behauptet steif und fest, Ratansky sitze gerade eine zehnjährige Gefängnisstrafe wegen Computerbetrügereien im Taylorville Correctional Center in Taylorville, Illinois, ab.«
Johnny Wareagle wanderte durch die Straßen von New York. Er hatte kein bestimmtes Ziel und folgte auch keiner speziellen Route. Er wirkte wie ein Jagdhund, der auf der Suche nach der richtigen Witterung umherstreift.
Die Begegnung mit Earvin Early letzten nachmittag hatte ihm sein Versagen vor Augen geführt, etwas, woran er nicht gewöhnt war und das ihm zutiefst mißfiel. Für ihn als Indianer war das ganze Universum eine einzige Kette, deren Glieder miteinander verbunden und voneinander abhängig waren. Die Handlungen einiger Menschen waren in besonderem Maß mit denen anderer verknüpft, und so mußten sie sich auch die Verantwortung dafür teilen. Nach Wareagles Ansicht war die Folge seines Scheiterns bei dem Versuch, Early vor zwanzig Jahren zu töten, daß er bis zu einem gewissen Grad auch die Schuld am Tod derer mittrug, die der Wahnsinnige seitdem umgebracht hatte. Und er hatte viele getötet, dessen war sich Johnny sicher. Selbst aus der Entfernung, aus der er gestern einen kurzen Blick auf Early geworfen hatte, hatte er das in dessen gelben Augen lesen können.
Die Morgenluft erwärmte sich langsam, und die Stadt erwachte zum Leben.
»He, Riese. He, großer Riese.«
Johnny blieb stehen und blickte zu dem Inhaber der Stimme hinunter. Es war ein einbeiniger Stadtstreicher, der auf dem Bürgersteig saß und das verbliebene Bein unter sich gezogen hatte, während seine Schultern an der Hauswand lehnten. Um seinen Hals baumelte ein handgeschriebenes Schild, auf dem KRIEGSVERSEHRTER VIETNAMVETERAN stand. Er hielt Johnny einen Styroporbecher hin, der noch immer nach Kaffee roch.
Als Wareagle seinen Blick erwiderte, verloren seine eingesunkenen Augen für einen Moment den Ausdruck der Hoffnungslosigkeit.
»Du warst auch dort. Das kann ich dir ansehen!«
Wareagle betrachtete den Versehrten genau, und dieser Anblick verriet ihm sehr viel über Earvin Early. Der Psychopath hatte gestern fast genauso ausgesehen. Johnny wußte, daß es keine Verkleidung gewesen war. Materie, alles, was physisch und daher auch vergänglich war, bedeutete dem wahnsinnigen Riesen nichts mehr. Das Experiment, dem er sich unterzogen hatte, als er im Gefängnis saß, hatte irgend etwas mit seinem Verstand angestellt und ihn von einem Menschen in ein Monster verwandelt. Und Wareagle hatte geglaubt, dieses Monster vor zwanzig Jahren in den Wäldern von Carolina getötet zu haben.
In jener Nacht hatte Earvin Early mit zwei Pfeilen im Leib den Sturz in den Abgrund überlebt, hatte es irgendwie geschafft, eine neue Existenz zu beginnen. Und dieses neue Leben war es, was Johnny vor allem Sorge bereitete. Und so galt seine Jagd nicht in erster Linie Early, sondern dem, zu dessen Teil er geworden war, weil Johnny es nicht verhindert hatte:
Dem Tag des Gerichts …
Early hatte den Mann getötet, der im Besitz dieses Geheimnisses gewesen war, hatte ihn getötet, um das Geheimnis zu schützen. Wenn er Early fand, entdeckte er damit zugleich auch das nächste Glied in der Kette.
Der Tag des Gerichts mußte verhindert werden.
Und Earvin Early würde Johnny dabei helfen.
Sal Belamo legte den Telefonhörer auf die Gabel zurück und warf Blaine von seinem Sessel im Schlafraum der Suite einen vorwurfsvollen Blick zu. »Und du hast gedacht, einer meiner Kontaktleute würde spinnen …«
»Ratansky?«
»Laut dem Register von Illinois sitzt er tatsächlich im Taylorville Correctional Center. Block D, Zelle siebenundzwanzig. Wurde vom Zuchthaus oben in Sheridan dorthin verlegt.«
»Nur, daß er im Moment auf einem Labortisch beim Leichenbeschauer von New York City liegt. Ist doch merkwürdig, daß ein toter Mann noch immer seine Zeit im Gefängnis absitzt.«
»Da hast du wohl recht, Boß.«
»Sieht so aus, als müßte ich mich mal persönlich mit ihm unterhalten.«
»Bist du sicher, daß du das wirklich willst, Indianer?«
Wareagle schaute von dem kleinen Rucksack hoch, den er auf der Couch im Wohnzimmer der Suite
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