Verschwörung im Zeughaus
magisch an.
Adelina kam nicht dazu, zum Rathaus zu gehen, denn gerade, nachdem die Familie die Frühmahlzeit beendet hatte, traf der Gewaltrichter Georg Reese ein. Er war ein hagerer Mann mit braunem, von grauen Strähnen durchzogenem Haar. Wie so oft in letzter Zeit stützte er sich beim Gehen auf einen Stock, da ihn die Gicht plagte. Als er die Apotheke betrat, hatte Adelina just Mira und Griet letzte Anweisungen für den Vormittag gegeben.
Freundlich winkte sie den Gewaltrichter näher, der sie in den vergangenen Jahren schon so oft um Rat gefragt oder ihr in schwierigen Situationen beigestanden hatte.
«Guten Morgen, Herr Reese», grüßte sie. «Ihr nehmt mir den Gang in die Judengasse ab. Ich war gerade so gut wie auf dem Weg zum Rathaus.»
«Das habe ich mir schon gedacht, deshalb bin ich Euch zuvorgekommen», antwortete er ebenso freundlich. Doch an seiner ernsten Miene erkannte sie, dass er keine guten Nachrichten brachte.
Sie winkte ihn näher und zog einen gepolsterten Schemel hinter dem Tresen hervor. «Kommt, setzt Euch. Wie es scheint, leidet Ihr wieder einmal unter Schmerzen.»
«Ich danke Euch.» Mit sichtlicher Erleichterung ließ er sich auf die Sitzgelegenheit sinken und lehnte seinen Stock gegen sein rechtes Knie.
«Soll ich Euch, während wir sprechen, eine Arznei zusammenstellen? Nehmt Ihr die Kräutermischung, die ich Euch neulich verkauft habe, regelmäßig ein?»
«Ja, natürlich, aber sie ist schon fast wieder aufgebraucht, und leider ereilen mich die Schmerzen trotzdem immer wieder. Eine Linderung ist immer nur von kurzer Dauer.»
Adelina musterte ihn eingehend. Er war gealtert, um seinen Mund und die Augen lagen tiefe Falten. Das Amt des Gewaltrichters einer so großen Stadt wie Köln zehrte ganz offensichtlich an seinen Kräften. Ganz zu schweigen davon, dass er auch noch einen großen Tuchhandel zu führen hatte, selbst wenn ihm inzwischen seine Söhne viele Arbeiten abnahmen.
«Ihr solltet Euch hin und wieder ein wenig Ruhe gönnen», befand Adelina. «Haltet Ihr Euch an die Ratschläge, die mein Mann Euch bezüglich Eurer Mahlzeiten gegeben hat? Kein fettes Fleisch, nicht zu viele süße Speisen. Ihr solltet frisches Gemüse und Obst zu Euch nehmen, das täte Eurer Gesundheit gewiss gut.»
«Ach ja.» Reese seufzte. «Ihr habt recht, aber was hat ein Mann denn noch vom Leben, wenn er nicht einmal mehr ordentlich essen darf? Nur noch Hirsebrei und Grünzeug?»
«Ihr würdet Euch aber besser fühlen.»
«Ich bin doch kein armer Tagelöhner oder Bauer», protestierte er.
Adelina lächelte milde. «Vielleicht nicht. Aber ist Euch schon einmal aufgefallen, dass arme Tagelöhner und Bauern nicht an Gicht leiden?»
«Hm.» Reese brummelte etwas Unverständliches. Dann hob er den Kopf. «Weshalb ich eigentlich hier bin …»
«Es geht um Tilmann, nicht wahr?» Adelina bedeutete Mira und Griet, die bisher schweigend hinter den Tresen gestanden hatten, die Apotheke zu verlassen. Als die beiden gegangen waren, nahm sie deren Platz ein und begann, auf ihrer Waage Kräuter abzuwiegen. «Deswegen wollte auch ich Euch aufsuchen. Was wisst Ihr über den Mord an Clais van Dalen?», fragte sie geradeheraus. «Der Vogt kam gestern her und behauptete, Tilmann habe Clais getötet und dass es Beweise dafür gäbe. Aber ich kann das nicht glauben. Mein Bruder mag nicht der freundlichste und geduldigste Mensch sein, aber ein Mörder ist er ganz bestimmt auch nicht.»
Reese setzte sich etwas aufrechter. «Ich weiß, was Ihr meint. Der Hauptmann ist ein guter Mann, und ich halte große Stücke auf ihn. Aber tatsächlich ist es so, dass man seinen Dolch bei dem Ermordeten gefunden hat – mit dessen Blut an der Klinge. Wir wissen nicht, wie es sich zugetragen hat. Es gibt leider keine Zeugen. Zwar haben einige Leute vorgestern Abend van Dalen beim Betreten des Zeughauses an der Burgmauer gesehen, jedoch muss er sich dort zu so später Stunde allein aufgehalten haben. Etwas später wurde auch Tilmann Greverode beim Betreten des Zeughauses beobachtet. Die Stadtwache wurde kurz darauf auf die offenstehende Tür des Gebäudes aufmerksam und fand den Ermordeten und den Dolch. Von Greverode keine Spur.»
«Also hat niemand gesehen, dass er den Mord begangen hat.»
«Soweit ich weiß, nicht», gab Reese zu. «Aber der blutige Dolch und sein spurloses Verschwinden sprechen leider eine recht deutliche Sprache. Versteht mich nicht falsch, auch ich kann nicht glauben, dass er van Dalen kaltblütig
Weitere Kostenlose Bücher