Verschwörung in Florenz
sehen, der ihm die Tür geöffnet hätte, und er konnte auch auf niemanden warten, nicht jetzt. Also öffnete er sich selbst. Eisiger Wind schlug ihm entgegen, als hätte er ihn erwartet, und blies ihm einen feinen Regen ins Gesicht. Die winzigen Tropfen waren so kalt, dass sie wie tausend kleine Nadeln in die Haut stachen. Hatten sich nun auch die Naturgewalten gegen ihn verschworen? Cosimo hätte schwören mögen, dass der Himmel sternenklar war, als er am Haus seines Vetters angekommen war. Wie lange mochte das her sein? Eine Stunde? Gewiss nicht länger. Und dennoch …
»Herr!«, erklang plötzlich eine aufgeregte Stimme hinter ihm. »Herr, so wartet doch!«
Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass man ihn meinte. Er drehte sich um. Der alte Enrico kam so schnell ihn seine krummen Beine trugen durch die Halle gelaufen. In seinen Armen hielt er etwas Dunkles, Langes, das beinahe den Boden streifte, und zwischen all den Gedanken, die durch Cosimos Kopf wirbelten, meldete sich eine zaghafte Stimme, die ihm sagte, dass dies ein Mantel sei. Ein Mantel, der jenem ähnlich sah, den er auf seinem Hinweg getragen hatte. »Herr, Euer Umhang. Ihr hättet ihn beinahe vergessen«, sagte Enrico atemlos und reichte Cosimo das schwere Kleidungsstück, sodass er es sich nur noch umzuhängen brauchte. »Es ist eine kalte und feuchte Nacht, Herr. Ohne wärmenden Mantel würdet Ihr Euch gewiss den Tod holen.«
»Danke«, erwiderte Cosimo, ohne darüber nachzudenken, was er gerade sagte oder was Enrico vielleicht über ihn denken mochte. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Herr. Soll ich die Kutsche rufen?«
»Nein.«
Cosimo trat auf die Straße und ging mit langen Schritten davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Am liebsten wäre er gelaufen, nein, besser noch gerannt. Ebenso gerannt wie in den Tagen seiner Kindheit, wenn er mit seinen Freunden dem griesgrämigen einäugigen Hausdiener der benachbarten Kaufleute, vor dem sie sich alle gefürchtet hatten, einen Streich gespielt hatte. Nur fort von hier, nur fort! Je schneller, desto besser. Doch er wusste, dass Enrico die Tür noch nicht geschlossen hatte, dass er ihm nachblickte, neugierig und sensationslüstern darauf achtend, ob er sich weiterhin so seltsam aufführte, und er zwang sich zu einem angemessenen, würdevollen Schritt. Denn Enrico würde ohne Zweifel jede Abnormität Giuliano melden. Und Giuliano würde ohne zu zögern Kontakt zu seinem Bruder Lorenzo aufnehmen. Und beide gemeinsam würden gewiss einen Arzt rufen. Sie würden versuchen ihn sanft und natürlich in aller Liebe – schließlich entstammte man ja derselben Familie – davon zu überzeugen, dass ein Irrenhaus wohl der beste Aufenthaltsort für ihn wäre. Und dann würden ihn die Wärter jener Irrenanstalt abholen, die vor den Toren von Florenz lag und über die sich die Leute nur im Flüsterton unterhielten. Man sagte, hinter wem sich einmal die Tore dieses Irrenhauses geschlossen hatten, der würde nie mehr an das Tageslicht zurückkehren.
Ja, sie wollten ihn loswerden, alle beide. Lorenzo, dem Mäzen und Stiftsvater, dem Wohltäter der Stadt, war Cosimo ein Dorn im Auge, ein Stachel im Fleisch, ein Schandfleck auf der weißen Weste des Hauses Medici. Und Giuliano fürchtete sich vor ihm. Und jetzt hasste er ihn sogar. Anselmo hatte ihm von der Reaktion seines Vetters berichtet, als er den Brief überbracht hatte. Giuliano hatte getobt vor Eifersucht, denn sie war in sein Leben getreten. Sie, diese Frau, die von sich behauptete, eine Reisende aus der Zukunft zu sein …
Und damit war er mit seinen Gedanken wieder bei jenem Punkt angelangt, der ihn aus dem Haus seines Vetters getrieben hatte – bei ihr. Und bei dem, was sie ihm erzählt hatte. Hatte sie ihm die Wahrheit gesagt? Aber weshalb sollte sie ihn anlügen? Es gab doch keinen Grund, oder etwa doch?
Die Straßen waren still und verlassen. Niemand begegnete ihm, seine Schritte hallten laut von den Hauswänden wider. Der Wind trieb den feinen Regen vor sich her, und Cosimo konnte im Schein der flackernden Laternen die Regenschleier sehen.
Angeblich hatte er ihr das Elixier zu trinken gegeben. Aber weshalb sollte er das getan haben? Er kannte zwar noch bei weitem nicht alle Geheimnisse des Elixiers, doch er hatte eines sehr schnell herausgefunden, auch wenn er die fehlende zweite Seite der Schrift immer noch nicht besaß. Das Elixier der Ewigkeit war gefährlich. Die Macht, die es verlieh, war verhängnisvoll. Und so verlockend es auch sein
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