Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
wusste, wie schwer es sein würde, sich gegen sie durchzusetzen. Umso schwerer, als er selber bisher alles getan hatte, um der Mutter Freude zu bereiten. Sollte er ihr jetzt den Kampf ansagen? Er bedauerte sie im Voraus wegen des Leids, das er ihr zufügen würde. Bisher war er der Meinung gewesen, diese Ehe würde ihr Verhältnis ganz zerrütten; doch nun suchte er sich einzureden, dass der Zorn der Mutter vorüberginge und sie Adrienne, lernte sie sie erst einmal besser kennen, liebgewänne. Und er malte sich seine Traumbilder weiter aus. Vielleicht bliebe ihr Verhältnis eine Zeitlang frostig, aber das würde sich mildern. Zumal mit dem ersten Enkelkind. Das ist doch ihre Sehnsucht, sie spielte oft darauf an: ein Nachfahre, ein Stammhalter. 57 Ein Junge. Und bei diesem Punkt schwand allmählich jede Begründung. Je mehr er sich diese Gedanken wiederholte, umso eher trat sein Wunsch an die Stelle von Argumenten, das Verlangen nach einem Heim, einer Frau, die Gefährtin und Mutter wäre, nach dem friedlichen Herd und einem heiter verrichteten Tagewerk, nach Ruhe und nach Kindern, für die zu arbeiten es sich lohnt …
Vorstellungen dieser Art hielten ihn gefangen, wo er sich auch immer befand: wenn er während tosender Wortgewitter im Parlament in seiner Bank saß, bei großen, langwierigen Ansprachen, im Casino an der Tafel, wo politische Debatten ausgetragen wurden, auf Festbanketten oder auf all den Bällen, die einander folgten, wenn er die Dame, die zufällig seine Nachbarin geworden war, mit nichtssagend höflichen Phrasen unterhielt. Wie ein Nachtwandler. Die kleine Magda Szent-Györgyi mit ihrem Vogelverstand sagte es ihm sogar ins Gesicht: »Was ist mit dir geschehen, dass du so zerstreut bist? Bestimmt führst du ein liederliches Leben, natürlich mit Frauen. Nicht wahr?« Und sie freute sich, denn sie stellte gern zur Schau, dass sie vom Verhältnis von Mann und Frau einige Begriffe hatte. »Abgemagert bist du auch!«, fügte sie lachend hinzu. »Sag einmal, sag … ist das sehr … so sehr …?« Aber sie brachte es nicht fertig, das Ungewisse zu benennen, nach dem sie fragen wollte.
Mitte März traf dann die längst erwartete Nachricht ein. Die alte Gräfin Clémence reise mit ihrer Enkelin zu einer Erholungskur nach Meran, und Adrienne werde, zusammen mit Margitka, in einigen Tagen in der Stadt die Villa Uzdy beziehen. Wie jedes Jahr sollte ein Wohltätigkeitsbasar zugunsten des Waisenhauses stattfinden. Diesmal würde bei einem der Stände auch Adrienne mit dabei sein.
Endlich! Endlich!
Es galt in Klausenburg immer als ein großes Ereignis, wenn der Maria-Valéria-Verein einen Basar veranstaltete. Die ganze Damengesellschaft der Stadt nahm daran teil. Die älteren Frauen traten als Schirmherrinnen auf, die jüngeren besorgten den Verkauf. Zumeist wurde ein Zelt – der Stand – von zwei bis drei Personen betreut, einer Magnatenfrau und einer oder zwei Bürgerinnen. In den Tagen, die dem Ereignis vorangingen, fiel in heftigem Wetteifer jeweils die Entscheidung darüber, wer was verkaufen werde und an welcher Stelle im Saal die eine oder andere Bude aufzustellen sei. Denn nicht nur der Standort war wichtig, sondern auch dass die Frauen an den benachbarten Ständen und sogar gegenüber Waren anderer Art feilboten. Und es galt als höchst verdienstvoll, ja als Sensation, wenn sich jemand etwas Besonderes einfallen ließ, einen Artikel, den sonst niemand besaß und anbot. Denn der größte Ruhm bestand darin, mehr Geld einzutreiben als die anderen. Wichtig war deshalb auch, wie man die Zelte schmückte. Sie mussten auffallend und gut zugänglich sein, möglichst viele Leute sollten rundherum stehen können, und trotzdem hatte alles intim zu wirken, damit man die Käufer festhalten und ihnen Platz anbieten konnte – dies mit dem Ziel, aus ihrer Geldbörse Schritt für Schritt immer mehr herauszuholen. Dazu brauchte man bei den Ständen auch junge Mädchen, Helferinnen.
Die Klausenburger Redoute war ein altes Gebäude, es stammte vom Ende des 18. Jahrhunderts. Hier waren einst die Siebenbürger Landtage abgehalten worden. Nun veranstaltete man Bälle in dem hohen, zweistöckigen Saal. Auch die Basare fanden hier statt. Eines der geräumigen Zimmer an den beiden Enden des Saals gehörte nun den Künstlern, denn ein Podium stand vor der Tür; hier saßen die Damen, welche die Schirmherrschaft innehatten, und auf der gleichen Bühne sollten später Laienschauspieler eine Vorstellung geben. Das Zimmer
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