Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
gleichnamigen Loge kurz zuvor ins Leben gerufenen – »Galilei-Kreis« angehörten und sich für Weltbürger und Europäer hielten. Es war eine bürgerliche Formation. Die Sozialisten blieben ihr fern. Die Öffentlichkeit nahm dieses Unterfangen folglich nicht ernst, und dies umso weniger, als sie Kristóffy, den einstigen Minister der Trabanten-Regierung, für einen politisch gebrandmarkten Mann hielt. Trotzdem nahm hier jene die Seelen zersetzende Bewegung ihren Anfang, die zehn Jahre später zur Revolution führen sollte. Dass Kristóffy ein Vertrauensmann des Belvedere war, wussten nur wenige.
Die vielen Wochen verstrichen langsam. Bálint besuchte die Sitzungen, am Abend nahm er an gesellschaftlichen Anlässen teil, an einem Empfang oder einem Diner, doch das eigene Leben schien ihm entsetzlich leer. Er machte sich erneut an die halb philosophische, halb religionsgeschichtliche Arbeit, betitelt »Schönheit als Handlung«, die er in der Frühzeit seiner Liebe zu Adrienne begonnen, bei ihrem späteren Bruch aber aufgegeben hatte. Er nahm zwar die Arbeit in Angriff, kam aber damit nicht vorwärts. Sie interessierte ihn nicht mehr. Doch wie er die vergilbten Seiten eine nach der anderen überflog, traten ihm aus jeder Zeile Erinnerungen entgegen: Er hatte dies Adrienne vorgelesen – damals in ihrer Klausenburger Wohnung, als sie vor dem Kamin auf dem Wollteppich lagen … Verliebte Zeilen. Addy war damals noch nicht die Seine geworden, aus jedem Wort klang sein Verlangen heraus. Und jetzt, da sie sich seit Monaten nicht mehr hatten treffen können, ergriff ihn die Sehnsucht immer stärker, die Sehnsucht nach der endgültigen Lösung.
Solange sie sich oft getroffen hatten, war der Wunsch nicht von der gleichen Dringlichkeit. Zwar mussten sie achtgeben, jedes Stelldichein im Voraus planen, und selbst wenn immer wieder Tage leer vergingen, so konnten sie sich doch in kurzen Abständen sehen; all dies verlieh ihnen das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gemeinsamen Lebens, als läge es einzig an Bálints Arbeit, dass sie nicht immer beisammen sein konnten. Auf solche Art waren der Frühling, der Sommer und der größere Teil des Herbstes vergangen. Inmitten all seiner Geschäftigkeit, der Politik, der genossenschaftlichen und der eigenen wirtschaftlichen Angelegenheiten bedrückte es ihn nicht, dass die Frau nicht ständig bei ihm war. Doch damit war es nun schon seit mehr als drei Monaten vorbei. Seit drei langen Monaten. Ihre unselige Lage offenbarte sich jetzt schlagartig. Sie konnten sich nicht mehr treffen, der Weg zueinander war versperrt. Was Adrienne auch immer widerfahren sollte, eine Krankheit oder ein Unfall, er könnte nicht zu ihr eilen, um ihr beizustehen. Ihm bliebe wie jedem beliebigen Fremden nur übrig, auf Nachrichten, auf zufällig eintreffende Nachrichten zu warten. Wie furchtbar! Briefe von ihr kamen auch jetzt nur hie und da. So erfuhr er, dass es bei den Masern des Töchterchens zu Komplikationen gekommen war. Die Heilung verzögerte sich. Solange sie nicht genas, konnte sich Adrienne von ihr nicht wegrühren … Sie mussten warten und weiter warten …
Sein Entschluss wurde während dieser vielen Tage und Wochen immer fester: Er würde Adriennes Scheidung erzwingen und sie heiraten. Es gab nur zwei Schwierigkeiten. Aus der Ferne schienen beide einfacher, als er es bisher gesehen hatte. Das Haupthindernis war Uzdy. Adrienne behauptete immer, dass er sie niemals freigeben würde. Sie sprach es zwar nie aus, doch hinter ihren Worten steckte die Annahme, Uzdy würde eher die Frau und denjenigen, den sie zu lieben wagte, umbringen. Doch verhielt es sich wirklich so? Sah sie nicht bloß ein Schreckgespenst? Allerdings, er war ein erblich belasteter, verwirrter Mann, sein Vater hatte als Geistesgestörter sein Leben beendet, er selber pflegte närrisch mit seinem Revolver zu hantieren, doch das alles mochte vielleicht noch kein Beweis sein. Als Adrienne sich ihm damals in Almáskő verweigerte, hatte Uzdy ja klein beigegeben! Bálint suchte sich auf solche Art Mut zu machen, ohne zu wissen – denn das hatte ihm Addy verschwiegen –, dass Uzdy ihnen tags darauf mit geladenem Gewehr nachgeschlichen war. Am Ende musste man sich all dem offen stellen, geradestehen, es ihm ohne Umschweife sagen …
Die andere Schwierigkeit war die Mutter. Sie würde unbedingt dagegen sein. Sie hasste Adrienne, hegte einen grundlosen, wunderlichen Hass. Er kannte die herrschsüchtige Natur der Mutter und
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