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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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trotzdem schön, es klang warm und innig, und der glanzvolle Wortschatz der Bibel bereicherte seinen Text: »Mache, o Herr, dass wir nach unserem Glauben Erbarmen, Güte, Liebe und Gerechtigkeit säen. Und dass wir diese Ernte einbringen dürfen bereits im irdischen Leben und jenseits von dessen Grenze im Himmel unser ewiges Seelenheil erlangen durch Jesus Christus, Deinen Sohn …«
    Bálint, von seinen Träumereien wieder zurückgekehrt, betete andächtig. Das, was er sich zuvor ausgemalt hatte, mischte sich nun – zwar nicht in Worten, doch als Gefühl – in sein Gebet: die Hoffnung, die Sehnsucht nach dem künftigen Erben.

    Der Pfarrer trat zum Abendmahltisch. In seinem langen Talar stellte er sich dahinter. Das Weiß des Kirchenraums übergoss, umrahmte ihn mit Helligkeit; seine hohe Gestalt zeichnete sich umso schwärzer ab. Der Kurator legte die Brokatdecke zurück, und nun erstrahlten vor ihm die Kleinodien der Kirche, zwei Kelche, ein riesiger Becher und zwei kleine Hostienteller, lauter vergoldetes Silber. Als Unterlage viele mit Seiden- und Goldfaden bestickte Batist- und Damasttücher. Die Sonne erfasste sie mit ihren Strahlen; an mancher Rundung des Silbers, an mancher karmesinroten oder goldenen Blume der Tischdecke entfachte sie Glut, machte den Reichtum verschwenderisch noch schimmernder und feierlicher, sie verlieh den Schätzen einen beinahe überirdischen Glanz. Der Abendmahltisch leuchtete inmitten der weißen Schlichtheit der Kirche gleichsam mit dem Versprechen einer anderen Welt.
    Es waren lauter alte Gegenstände, Handwerksarbeit aus dem 16. und dem 17. Jahrhundert. Einer der Kelche zeigte zwar in seiner Verzierung Formen der Renaissance, war aber vom Nodus-Typ. Der Meister, der ihn geschaffen hatte, bewahrte die gotischen Linien, denn die Goldschmiedekunst in Siebenbürgen pflegte auf die Art, wie frühere Epochen gestaltet hatten, lange zurückzugreifen. Beim anderen, lilienartigen Becher strebten die gegliederten Rippen aus dem reich durchbrochenen Schaft geradeaus nach oben. Auch dieses Stück mochte zweihundert Jahre alt sein, ebenso wie die meisten Tücher und Decken. Es waren die Gaben zahlreicher Generationen, welche die innere Notwendigkeit empfunden hatten, ihrer Kirche das Schönste und Teuerste zu schenken. Dies gilt in Siebenbürgen nicht als Ausnahme; es gibt hier kaum eine Kirche, die nicht zumindest ein bis zwei Schätze besäße, die jedes Museum mit Stolz herzeigen würde. Bálint bereitete es Freude, die Kleinodien wiederzusehen.
    Dann aber raubte ihm eine Frage jäh die Freude. War es ihm erlaubt, an den Abendmahltisch zu schreiten? Gemäß dem Dogma belastete Ehebruch seine Seele.
    Daran hatte er noch nie gedacht. Sein Glaube an die Dogmen war längst erloschen durch die Lektüre der naturwissenschaftlichen und religionshistorischen Bücher, mit denen er sich seit seiner Zeit als Heranwachsender befasst und deren Studium er bei der Arbeit an dem später aufgegebenen Essay »Schönheit als Handlung« noch erweitert hatte. Er hielt die Dogmen für menschliche Schöpfungen, die den Geist ihrer Entstehungszeit in sich trugen. Diese Auffassung, wie er meinte, stimmte mit der Idee der Reformation überein, da doch Luther, Calvin und Knox gegen die buchstabengetreuen Dogmen auf ihr eigenes Urteil vertraut und ihre Überzeugungen der kirchlichen Überlieferung und sogar der Autoritätsverehrung der Konzile entgegengestellt hatten. Dennoch, die in der Kindheit empfangene Lehre war in ihm stark geblieben, so stark, dass er sich schon seit vielen Jahren daran gewöhnt hatte, die Kirche vor dem Abendmahl zu verlassen.
    Wäre er allein in der Familienbank gesessen, so hätte er sich auch jetzt entfernt, so wie dies viele in der Gemeinde taten, der Gesang dauerte ja deshalb so lange, damit jene, die sich für nicht würdig hielten, die Kirche verlassen konnten. Der Pastor wartete auf ihren Abgang, bevor er die Begründung und das Gesetz des Abendmahls erklärte: »Es prüfe sich ein jeder, bevor er es nimmt!« Er vermittelte nicht, erteilte keine Absolution und auferlegte keine Strafe. Das stand nicht in seiner Macht. Doch die Mahnung auszusprechen, war seine Pflicht. Nach dem calvinistischen Glauben steht jedermann allein vor Gott. Er selber musste sich ins eigene Herz blicken, selber seine Verdienste und Sünden beurteilen. Doch Frau Abády rührte sich nicht. Sie verharrte ruhig in der Bank. Ginge nun Bálint hinaus, so wäre das nahezu einem Skandal gleichgekommen. Dennoch

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