Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
Vom Netzwerk:
geformten Welt, es waren vorab diese Vorgänge, denen seine Aufmerksamkeit galt. Das Wesen des Lebens ist nun einmal so, dass es eines sehr großen Zwangs oder einer gewaltigen Gefahr bedarf, um die Freude, das Leid und den Ärger des Alltäglichen zu überspielen. Die Leute überflogen die Nachrichten der Morgenblätter, am Nachmittag debattierten sie darüber in den Clubs oder in Kaffeehäusern, beim Mittag- oder beim Abendessen kamen die Neuigkeiten vielleicht zur Sprache, aber das normale Leben ging einförmig weiter, Arbeit, Geschäfte und Wirtschaft, Familie, Freundeskreis oder die öffentliche Tätigkeit, Liebe, Politik oder Sport und all das, was damit zusammenhing; Aberhunderte von kleinen Geschehnissen beanspruchten die Menschen, und es war notwendig, dass sie in Anspruch genommen wurden, anders konnte es gar nicht sein.

VI.

    Es sah nach schönem, heiterem Wetter aus. Noch schwebte ein leichter Dunstschleier über dem Land, er dämpfte den Sonnenschein, der auf die kahlen Hügelflanken fiel, tauchte die Anhöhen in Nebel, und er ließ die sich weit in die Ferne ausdehnenden Heuwiesen des Gebirges fast endlos erscheinen. Und doch war es sicher, dass beim Mittagläuten glänzend klares Wetter herrschen würde.
    Dies fügte sich glücklich, denn dieser Tag, der dritte November, Tag des Hubertus, war im Jägerkalender von größter Bedeutung. Für die Siebenbürger Jäger galt er als Feiertag und natürlich als ein wichtiger gesellschaftlicher Anlass, denn zum heutigen Treffen – genau zur Mittagszeit – erwartete man zahlreiche Damen und Herren, die mit ihren Wagen aus der Stadt und den benachbarten Regionen ankommen würden. Weil sich das Publikum nicht nur treffen, sondern auch etwas von der berittenen Jagd zu Gesicht bekommen wollte, pflegte man am Hubertustag die Ebene im Szamos-Tal als Treffpunkt zu bezeichnen. Dieser musste meet genannt werden, denn in der Jägerzunft stammte jedes Fachwort aus dem Englischen. Der Jagdherr und Eigentümer der Meute war der master , die Oberaufsicht über die Hunde führte der huntsman , ihr Antreiber hieß whip , wurde das Wild aufgescheucht, dann sprach man von tally-ho , beim Lauf von run , bei verlorener Fährte von check , die Suche nach Spuren nannte man casting und das Erlegen von Tieren kill . So unterhielten sich die Jäger untereinander, und der Satz etwa: »Beim Check nach dem ersten Run, als der Master zurückcastete, whipte ich auf der Seite und hörte nicht, dass tally-ho …« hatte für sie einen völlig klaren Sinn.
    Der Master hatte natürlich auch diesmal einen gut erreichbaren Punkt für das Meet bestimmt. Und zwar die »Tarcsa« genannte Wiese neben Apahida, die Stelle, wo sich die Landstraße nach dem Übergang über den Szamos jäh gegen Norden wendet. Es führte hierher auch ein kürzerer Feldweg, der unterhalb der Rebberge von Klausenburg beginnt und am linken Flussufer verläuft. Ein in jeder Hinsicht geeigneter Punkt. Ein breites, flaches Feld erstreckte sich auf beiden Seiten der Landstraße, viele Reiter und Kutschen fanden hier Platz, und wenn die Jäger und die Hunde durch das Tal loszögen auf der Suche nach Wild, dann könnten die Gespanne auf der Straße traben und ihren Insassen böte sich Gelegenheit, die ganze Jagd zu überblicken. Dies allerdings nur dann, wenn sich die aufgesprengten Hasen bereitfinden würden, das Tal entlangzulaufen, was allerdings ziemlich ungewiss war, da doch den Langohren die ausgesprochene Neigung eigen ist, bergwärts zu rennen.
    Auf dieser Wiese führte jetzt einzig ein frühzeitig angekommener Rossknecht zwei mit Decken geschützte Pferde im Schritt herum, denn es war erst elf Uhr. Und doch tauchte am Ende des Dorfs ein Vierergespann auf. Es überquerte dröhnend die Szamos-Brücke, bog ab und hielt auf der Wiese. Adrienne und ihre Tante, die nette Frau des Jenő Laczók, saßen im breiten Landauer.
    »Sehen Sie, Tante Ida, wir sind doch nicht verspätet, und dabei waren Sie so besorgt«, sagte die junge Frau lächelnd.
    »Natürlich nicht, natürlich hattest du recht, dass wir uns nicht zu beeilen brauchten«, stimmte ihr Tante Ida zu, und nun lachte sie selber über all ihre Ermahnungen, mit denen sie jedermann zum Aufbruch gedrängt hatte. »Aber ich war doch so aufgeregt, du weißt ja, meine beiden halbwüchsigen Söhne jagen heute zum ersten Mal. Eine große Sache ist das, nicht wahr, eine große Sache!« Und mit ihrer dicken Patschhand drückte sie die Rechte der neben ihr sitzenden

Weitere Kostenlose Bücher