Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
sich belog. Aber er versuchte, sich hinzuhalten.
Heute jedoch hatte er bei dem Metzger auf den Abschluss des Geschäfts angestoßen. Er trank drei bis vier Gläschen Branntwein, vielleicht sogar fünf, denn er wurde gastfreundschaftlich genötigt. Auf dem Marsch zurück zur Kutsche, die beim Hotel wartete, kehrte er noch in eine Bodega ein. Auch da kippte er einige Stamperl. Hatte er einmal mit dem Trinken begonnen, dann verlangte es ihn nach mehr und mehr. Recht benebelt setzte er seinen Weg fort. Der Alkohol löschte in ihm die nachgiebige, unterwürfige Haltung aus, stattdessen kam sein hoffärtiges, herrisches Gebaren zum Vorschein.
In diesem Zustand erblickte er den alten Kajsza. Er kam ihm auf dem Bürgersteig gerade entgegen. Er mochte noch fünfzig Schritt entfernt sein. Zwischen ihnen beiden – niemand. Die Straßen waren jetzt, zur Mittagessenszeit, menschenleer. Wäre László nicht betrunken gewesen, hätte er nach seiner Gewohnheit gehandelt, so wie andere Male, wenn er den alten Herrn traf: Er wäre in den erstbesten Laden geflohen, oder wenn es an einer Möglichkeit zum Verschwinden ganz fehlte, hätte er ehrerbietig gegrüßt, um dann fortzueilen. Er pflegte es so zu halten, seitdem sich Sándor Kendy mit ihm – genau vor einem Jahr – so herzensgut unterhalten hatte. Diesmal indessen war er betrunken. Betrunken und selbstbewusst. Doch dankbar. Diese Dankbarkeit suchte er auszudrücken, als er plötzlich stocksteif stehen blieb und mit ausgestrecktem Arm, den Hut in der Hand, schwungvoll ausholte – nach der Manier der spanischen Granden, die im »Don Carlos« auf der Bühne den König grüßen.
Sein Arm hatte den Bogen noch gar nicht beschrieben, seine würdevolle, langsame Geste war noch nicht zu Ende, als der alte Kajsza sich abwandte und in rechtem Winkel auf die andere Seite hinüberwechselte. Etwa dreißig Schritt von dem jungen Mann entfernt überquerte er die Straße. Drüben setzte er seinen Weg nicht fort, sondern betrat ein Geschäft.
Hatte er László erkannt? War er ihm absichtlich ausgewichen, weil er ihn betrunken antraf oder weil er vernommen hatte, er werde von einer Frau ausgehalten? War es einzig Zufall, dieser unerwartete Wechsel von einem Trottoir zum anderen, oder hatte Kendy wirklich in jenem Geschäft zu tun? Eine Antwort hierauf würde es nie geben. Und für das Weitere blieb es auch ohne Bedeutung.
Der Arm des jungen Mannes erstarrte in der Luft. Im Innersten bestürzt, mit verzerrten Zügen stand er da. Was er erblickt hatte, der Wechsel des alten Herrn hinüber auf die andere Straßenseite, erschütterte ihn dermaßen, dass er in wenigen Augenblicken ganz nüchtern wurde. Dann setzte er den Hut auf und schritt langsam zurück zum Hotel. Frau Lázárs Kutsche schickte er nach Hause, bestellte ein Zimmer und ging hinauf. Nach einer Stunde läutete er. »Jemand«, sagte er zum Diener, »soll sich im Haus Abády erkundigen, wo der Herr Gutsverwalter Ázbej zu finden ist. Sollte er in der Stadt sein, dann lasse ich ihn bitten, mich unverzüglich aufzusuchen.« Nach einer Vierteilstunde wurde gemeldet, dass Ázbej sich nicht da, sondern in Dénestornya aufhalte. Er setzte nun ein Telegramm auf: »Bitte Sie, sofort herzukommen.«
László blieb allein. Aus Angst, er könnte jemandem begegnen, verließ er das Zimmer nicht mehr. Er wünschte keine Treffen. Niemand sollte ihn zu Gesicht bekommen. Alle täten das Gleiche wie der alte Kajsza, sie würden den Kopf abwenden und seinen Gruß nicht erwidern. Wie auch sollten sie anders handeln? Wo sich doch auch dieser gütige Greis so benimmt, der ihm väterlich zugeredet und von ihm das Gelübde empfangen hatte, er werde sein Leben in ordentliche Bahnen lenken; er, Kendy, der ihm damals mit so viel Wärme seine Hilfe anbot. Und jetzt dreht er ihm den Rücken zu – und recht hat er! Vollkommen recht. Denn er selber war ehrlos geworden.
Das war nun etwas anderes als der Fall vor drei Jahren, als man ihm in Pest gnadenhalber trotz seinen Kartenschulden den Austritt aus dem Casino erlaubte. Auch das war eine Schande, eine Brandmarkung gewesen. Doch er selber urteilte in seinem Inneren anders. Er gehorchte damals einem höheren Befehl; er hätte die Schuld begleichen und in den Augen der vornehmen Welt ein Ehrenmann bleiben können. Er akzeptierte den Hinauswurf freiwillig, um Frau Berédys Perlen auszulösen. Es war eine heroische Tat, das seinetwegen versetzte Juwel der Frau zurückzugeben und die Schande auf sich zu nehmen.
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