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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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mich um drei Uhr in der Frühe.«

    Dichter Nebel hatte alles zugedeckt. Ohne die mitgebrachte Lampe hätten sie sich kaum zurechtgefunden. So jedoch kamen sie gut voran, wenn auch vorsichtiger als am Abend zuvor. Mézes blieb auf halbem Weg auf der kleinen Wiese oberhalb des Bachs Retyicel zurück – von dort konnte er die Gegend beobachten –, während Bálint und der Wildhüter zum gestrigen Endpunkt schlichen. So ließen sich drei Täler im Auge behalten: Retyicel, Vale Arsza und das Tal auf der entgegengesetzten Seite, das vom Vurvurás her in einem Bogen in diese Richtung führte.
    Noch herrschte tiefe Nacht. Bálint blickte auf seine Uhr: halb fünf. Sie mussten unbeweglich warten. Der Hirsch stand vielleicht irgendwo im Tannenwald hinter den Zweigen, welche die Stämme bis weit unten bedeckten; er mochte nachts fortgegangen sein, Gott weiß, wohin, oder aber sich auch zwanzig bis dreißig Schritt entfernt befinden. Schukuzo kauerte auf den Absätzen und murmelte Gebete, doch vielleicht waren es Zaubersprüche, denn der alte Wilderer umgab sich draußen im Wald mit tausenderlei Aberglauben.
    Nach langem Warten begann es zu dämmern. Es war kein triumphaler Tagesanbruch, bei dem sich die Natur glanzvoll mit hundert frischen Farben schmückt; im gleichförmigen Nebel graute es vielmehr zögerlich, als ob ein Milchglasfenster von schwachem Licht erhellt wird. Bálint vergaß während der ausgedehnten Wartezeit ganz, weshalb er hergekommen war. In Gedanken vergegenwärtigte er sich die vielen in Bitterkeit durchlebten Stunden der letzten Zeit. Darüber grübelte er wieder, wie so oft in den vergangenen Tagen. Da aber ertönte der Schrei des Hirsches, tiefer als irgendein menschlicher Bass. Er erschallte etwas weiter oben als am Abend zuvor. Nach kurzer Weile hörte man den Ton wieder.
    »Er kommt vom Grat her!«, flüsterte der alte Bergler aufgeregt. »Da, da! Folgen Sie mir, Mariasa!« Und flink wie ein Kind sprang er auf die Füße und huschte ins weglose Dickicht. Er hielt nicht auf die Stimme zu, sondern ging schräg voran, denn mit seinem Jägerinstinkt spürte er, wie man dem Wild zuvorkommen konnte. Kein Stein klapperte, kein trockenes Blatt knisterte unter seinen großen, mit Eisen beschlagenen Bundschuhen. Sich unter den herabhängenden Ästen bückend, sich versteckend, so schritt der alte Mann fort, er überstieg die gefällten Tannenstämme, mied jede offene Stelle, lautlos, aber sehr schnell kam er voran.
    Bálint schaffte es kaum, hinter ihm zu bleiben. Sie erreichten nun ein Felsenjoch. Eine kleine Lichtung lag davor. Schukuzo trat indessen nicht auf das Feld hinaus, sondern kauerte am Waldrand nieder. Er spähte in die Runde, obwohl man im Nebel, der hier erst recht dicht hing, kaum zwanzig Schritt weit sah. Die Tannen gegenüber wirkten bloß wie Schatten, kaum dunkler als der Dunst. Der Felsvorsprung, der sich daneben türmte, wirkte wie ein leichter Vorhang. Doch etwas knackte und raschelte. Ein Knattern ertönte auch im Geäst, als schlage man mit einem Stock gegen die Zweige. Das Dickicht zur Linken öffnete sich, und mit seinen langen Schritten betrat der Hirsch die kleine Wiese. Es war ein riesiges Tier, so groß wie ein stattliches Pferd.
    Den Kopf trug er hoch – stolz und königlich. Die vielen blinkenden Sprossen an den schwarzen Stangen seines Geweihs ließen sich nicht einmal zählen, obwohl er ganz nahe, nur einen Steinwurf entfernt auftauchte. Er blieb stehen und warf das Haupt zurück. Seine dicken Augensprossen – eine jede ein aufragender türkischer Krummsäbel – reckten sich nach oben, und seine gewaltige Stimme erschallte, so stark und so tief, wie es kein Instrument wiederzugeben vermag. Sein Atem, vielleicht auch sein Verlangen, war so heiß, dass er seinem Maul wie wallendes Gewölk entströmte.
    Dann zog er weiter. Den Kopf in die Höhe gereckt, drang er in den Wald ein. Kein Dorngestrüpp, kein Gebüsch, kein Ast und keine Jungtanne zwang ihn zu einem Umweg, für ihn gab es kein Hindernis, nichts, das ihn zurückgehalten, nichts, dem er sein stolzes Haupt gebeugt hätte. Die zerschmetterten Äste knackten, wo er vorbeiging, alles brach, was sein Geweih streifte, einen Weg suchte er nicht, denn er war es, der hier herrschte, der gekrönte Fürst der ganzen Wildnis. Seine Schritte vernahm man noch lange, als er sich im Wald zurück in die Richtung des Muncsel entfernte, woher er tags zuvor gekommen war und wo er vielleicht am Abend seine Hirschkühe zurückgelassen

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