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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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und der Buchen zeigten zitternd und blinkend die Richtung des raschen Luftzugs an.
    Was machte es dermaßen unmöglich, die Scheidung zur Sprache zu bringen? Bálint wusste wohl, dass Adrienne um ihr Leben keine Angst empfand. Um das seine fürchtete sie eher, doch letztlich auch nicht allzu sehr, oft genug war er doch nachts in ihrer Wohnung gewesen, wo Uzdy, vom Land zurückgekehrt, jede Stunde hätte hereinplatzen können; sie beide hatten ja auch damals stets ein tödliches Spiel gespielt. Was also war ein so gewaltiges Hindernis?
    So viel er auch grübelte, er fand keine andere Erklärung, als dass Adrienne ihre Tochter mitbringen wollte und dass dies bei einer Trennung in Unfrieden offenkundig unmöglich gewesen wäre. Ihre Worte »Auch für meine Tochter!« bestärkten dieselbe Vermutung. Eine kaum bewusste Ahnung sagte ihm, dass diese Erklärung falsch sei, aber sein Verstand fand sonst nichts, keinen anderen Grund. Nein, es gab keinen anderen, nirgends …
    Der Abend graute bereits. Der rote Glanz des Sonnenuntergangs hatte den Nebel, der über der westlichen Bergkette lag, kaum rosa gefärbt. Ein lang rauschender, sehr tiefer Ton zerriss unerwartet aus der Ferne die andächtige Stille des Abends. Bálint vernahm ihn, doch seine Gedanken schweiften weit weg, an anderen Ort. Aus der Richtung der Holzhütte, wo das Begleitpersonal wohnte, stiegen indessen zwei Männer zu Abádys Zelt hinab: András Mézes Zutor und der alte Schukuzo. Der Letztgenannte diente als Forstwächter am Gyalu Boti, zugleich aber auch als »Hochgebirgs-Oberjäger«. Einst, bevor er in den Dienst trat, war er ein berühmter Wilderer gewesen.
    Die beiden begaben sich eilenden Schritts zum jungen Herrn.
    »Ein Hirsch röhrt!«, sagte Mézes. »Strig ạ ∙t ạ ur!«, meldete auch der alte Mann. Beide zeigten rechts nach oben, wo der Gipfel des Muncsel Mare sichtbar gewesen wäre, den aber jetzt Dunst bedeckte.
    Bálint sprang auf. Alle lauschten nun regungslos. Kein Laut während einiger Minuten. Und dann ertönte wieder die gleiche tiefe, wie eine Orgel brausende Stimme, mächtig wie das Gebrüll eines Löwen. Rasch den Regenschutz, den Feldstecher, den Hut! Auch die Mannlicher über die Schulter – nicht dass Abády hätte jagen wollen, doch im Gebirge unternimmt man ohne Gewehr keine Streifzüge. Und dann hinaus auf den Bergrücken, der hinter ihnen lag und die Wasserscheide bildete. Sie schritten eilig, doch lautlos, denn das herabgefallene, dürre Laub war durchnässt; nicht einmal die trockenen Äste knacken zu solcher Zeit. Bald erreichten sie den Weg, der den Kamm entlangführte. Hier blieben sie stehen und horchten. Sie brauchten nicht lange zu warten. Der Hirsch ließ sich wieder zweimal hören. Das Röhren schien jedes Mal etwas kühner zu klingen und von weiter rechts zu kommen.
    »Er zieht zum Égett-kő«, flüsterte Schukuzo, der zwar aus entzündeten Augen in die Welt blickte, da er dem Branntwein immer gern zusprach, jedoch Ohren hatte wie ein Luchs, »ganz sicher, er zieht dorthin.« Und der Hirsch, als wolle er die Aussage des bejahrten Wilderers bestätigen, röhrte nun wieder und genau aus der Richtung, die der Alte bezeichnet hatte.
    Sie setzten ihm nach, so schnell es ging. Das Gras wächst hoch auf den Wegen, die durch gut bewachte Wälder führen. Nach einigen Minuten waren sie bis zur Mitte der Oberschenkel durchnässt, doch weiter, nur weiter: »Vielleicht hören wir ihn nochmals!« Beinahe völlige Finsternis herrschte im Hochwald, zu solcher Zeit darf man getrost laufen, das Wild wird nicht verscheucht. Doch sosehr sie auch eilten, es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis sie in der Gegend des Égett-kő anlangten. In der rußfarbenen Nacht verrieten ihnen natürlich nur die verkrüppelten Bäume und die rollenden Felstrümmer, dass sie die Stelle erreicht hatten. Sie blieben stehen. Träge Regentropfen fielen da und dort zögernd von den Tannenzweigen.
    In der Tiefe, weit unten, rauschte der Bach. Er war vom langanhaltenden Regen angeschwollen. Lange ließ sich kein anderer Laut vernehmen. Zuletzt dann erschallte ein einziger kurzer, beinahe befehlender Ton in der Nähe: ebenso verlangend wie fordernd. Es war die Stimme des Königs der Wälder. Sie harrten lange aus, unbeweglich stehend, aber nichts folgte mehr. Vorsichtig machten sie sich auf den Weg zurück zum Lager.
    »Wir müssen vor Tagesanbruch da sein, vielleicht bleibt er bis zum Morgen am Ort«, verfügte Bálint, als sie zu Hause ankamen, »weckt

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