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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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lange Nase seitwärts. Seine klagend schrägen Augenbrauen liefen ihm zur Stirn hinauf. Wie ein junger Rabe, der einen unerwarteten Gegenstand beobachtet, so sah er aus. Und er sprach, während er neben sich hin blickte, als läse er vom Tischtuch ab. Er trug zwar abgehackt vor, wie im Traum, doch mit klarer Verknüpfung der Gedanken. Wie groß auch die Freude über das Glück sein mag, sagte er mit viel mehr Worten, das jemandem widerfährt, immer bleibt etwas übrig, was er sich wünscht, was er noch nicht erreicht hat. Etwas anderes, was ihm zum Glück fehlt. Es gibt keinen Menschen, der sagen könnte, nun habe er keinen Wunsch mehr. Nach jedem Geschenk, mit dem uns das Schicksal bedenkt, brauchen wir sogleich eine neue Gabe. Und ob sie wertvoller, ob sie größer ist als die vorangegangene, darum geht es nicht. Nein! Es geht einzig darum, dass es etwas gibt, was man noch nicht besitzt und eben braucht. Und dieser Wunsch hält die Freude im Gleichgewicht: Glücklich, so sagt unser Gefühl, werden wir erst, wenn wir auch dies erhalten, und kaum ist es so weit, da begehren wir schon wieder etwas Neues. So auch bei der Trauer. Wie groß auch der Schlag sein mag, den wir erleiden, es gibt doch auch immer etwas Tröstendes, das uns hilft, nicht zu verzweifeln. Einerlei, was es ist und wie es heißt: Pflicht, Schuldigkeit, etwas, was man dem Schlag zum Trotz noch zu Ende führen muss. Bei einem Todesfall ist es die Aufgabe, sich um die Hinterbliebenen zu kümmern, das zu erhalten, was dem Verstorbenen lieb war. Freude dieser Art bereite auch manches andere, das man nicht vernachlässigen kann, das gibt es aber bei jeder Trauer: Ein Werk wurde begonnen, wir müssen uns um etwas oder jemanden kümmern, der auf uns angewiesen ist, ob es nun ein Verwandter, jemand vom Gesinde oder auch nur ein Tier ist – gleichgültig, das spielt keine Rolle. Jemand ist vorhanden, um dessentwillen man dableiben, für den man arbeiten muss, da dieser, wie er meint, einer Stütze bedarf. Und es ist sogar möglich, dass die Großartigkeit der Trauer selber bereits eine ausreichende Freude ist.
    »Wie eine Waage, so vechhält sich das«, setzte Gazsi auseinander, »in einech Schale befindet sich die Fcheude, in dech andechen das Leid. Sie sind ständig im Gleichgewicht, und es ist egal, ob in dech einen etwas sehch Gchoßes und in dech andechen etwas ganz Kleines liegt!«
    Mit seinen Fingern, die vom vielen Reiten ganz steif waren, fuchtelte er merkwürdig in der Luft. Einige lachten, obwohl in den winzigen Augen Kadacsays fanatischer Ernst zu leuchten schien.
    »Und was geschähe, wenn es in der einen Waagschale doch nichts geben sollte? Wenn sich das Gewicht beispielsweise nur auf der Freudenseite befindet?«
    »Dann wüchde man den ganzen Tag tanzen und jauchzen und landete zuletzt im Icchenhaus.«
    »Und wenn das Gewicht einzig auf der Trauerseite wäre?«
    »Dann wüchde man sich totschießen …«
    Zakata war während des Vortrags ins Esszimmer zurückgekehrt. Er hörte Gazsis Worten erstaunt zu. Jetzt rief er dazwischen: »Trauere ich etwa nicht um meine allerliebste Frau? Tag und Nacht habe ich nichts anderes im Sinn. Aber sag, mein Vögelein, wo hast du solche Dummheiten gelesen?«
    »Nichgends«, antwortete Gazsi. »Ich habe leider sehch wenig gelesen … das Militäch, die Pfechde … ich habe viel Zeit vergeudet, jetzt vechsuche ich, einiges nachzuholen, aber vielleicht ist es dazu schon zu spät …«
    »Lass es auch bleiben, mein Vögelein! Einer meiner Kameraden in Italien, der war auch solch ein Ochs! Solch ein Bücherwurm! Er las diese viehischen Philosophen selbst am Lagerfeuer. Das will ich euch denn auch gleich erzählen, es ist eine toll lustige Geschichte, ihr werdet sehen.«
    Er rückte einen Stuhl heran, setzte sich Gazsi gegenüber, und trotz dem Protest seiner Töchter hob er unter großen Gesten an: »Es war also so, hört zu, dass wir nach der Schlacht bei Calatafimi unser Lager in einem Weingarten aufschlugen. Der erwähnte Mann, dieser Ochs, war auch dabei, und die Weinranken wollten nicht recht brennen. Denn man muss wissen, dass es dort kaum etwas anderes zum Verbrennen gibt, da habe ich denn gesagt, was zum Teufel brauchen wir ein Feuer, wo doch, so habe ich gesagt …«
    Abády betrachtete Kadacsay, wie er gegenüber dem alten Garibaldisten saß. Er warf die lange Nase abwechselnd nach rechts und nach links. Er tat, als passe er auf. Neben seinem Schnurrbart bewegte sich tänzelnd einzig ein ganz winziges

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