Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
erwartete, er brauchte nur den Arm auszustrecken. Sein Herz schlug vor Freude. Er löschte das Licht und legte die Hand auf die Klinke.
Die Tür gab nicht nach. Sie war verschlossen.
Er klopfte. Keine Antwort. Erneut klopfte er, diesmal schon lauter, und wartete. Er glaubte, von drinnen leise, keuchende Töne zu vernehmen. Was ist geschehen? Was war das? Ein Scherz womöglich? Verärgert klopfte er zweimal stark und rief beinahe wütend: »Ich bin’s! Warum hast du geschlossen?«
Fanny gab endlich Antwort: »Ich habe Kopfschmerzen … geh … geh … ich kann nicht.«
Wárday war ein guter Junge. Sie tat ihm leid, in der Tat, wie dumpf ihre Stimme klang, als wenn sie selbst so viel nur unter Mühen herausbrächte.
»Oh, arme Fanny! Welch ein Pech! Aber in Pest, nicht wahr?«
»Schon gut … doch geh … geh …« Und als er sich dem Ausgang zuwandte, begannen im Zimmer die leicht keuchenden Töne von neuem, die Imre zuvor schon vernommen hatte.
»Die Arme muss furchtbar leiden«, dachte er, während er in seine Wohnung zurückeilte.
Hierin hatte er recht, freilich anders, als er glaubte. Frau Berédy lag in ihrem Bett auf dem Bauch, ihr Haar fiel in langen Strähnen über die zerwühlten Kissen, und sie weinte krampfhaft. Ihr Hemd war zerrissen, das Schluchzen schüttelte ihren ganzen schönen Leib. Der Rücken spannte sich manchmal wie gewölbt, und der Kopf senkte sich, als wolle sie ihn im Federkissen vergraben und darin ersticken.
Stille senkte sich schließlich auf das Schloss von Jablánka. Alle hatten sich zur Ruhe gelegt. Einzig zwei Frauen und zwei Männer waren noch wach. Klára, die in ihrem alten Mädchenzimmer zwischen ihren Spitzenkissen unbeweglich auf die herabhängende Alabasterlampe blickte; und auf der entgegengesetzten Seite Fanny, mit tränennassem Haar, vom Schluchzen gewürgt.
In der Kapelle kniete der kleine Pfaffulus im Gebet vor dem ewigen Licht. Er betete, betete für jenen verlorenen Sohn, um den die eine Frau weinte und an den die andere sich erinnerte, als sie auf ihr Nachtlämpchen starrte.
Und außer ihnen war Bálint wach, er stand am offenen Fenster, als wolle er trotzig dem Schicksal ins Auge blicken.
Der Schnellzug nach Berlin erreichte jetzt die Stelle, wo der Vág eine Kurve beschreibt und die enge Bergschlucht verlässt. Die Lokomotive stieß einen langen Pfiff aus. Ihr gellender Ton kam aus dem Dunkel, aus der Tiefe, und er widerhallte in den Gewölben des einstigen Klosters.
Dritter Teil
I.
Bálint kehrte in die Hauptstadt zurück. In den Budapester parlamentarischen Kreisen begegnete er einer aufgewühlten Stimmung. In der Unabhängigkeitspartei rumorte es. Kossuth musste sein ganzes Gewicht in die Waagschale legen. Er schaffte es nur auf diese Weise, die Zustimmung zur neuen finanziellen Einigung mit Österreich durchzusetzen. Auch war zu befürchten, dass es im Parlament zur Obstruktion kommen könnte durch jene Abgeordnete, die wegen der Erhöhung der Quote aus der Partei ausgetreten waren. Die Regierung unterbreitete deshalb eine Vorlage, die aus einem einzigen Absatz bestand und besagte, dass »bis zu ihrer ausführlichen Behandlung« alle ihre Verordnungen Geltung erlangen sollten, und zwar von diesem ersten Januar an für eine Dauer von zehn Jahren.
Nie in der Vergangenheit hatte es eine Regierung gewagt, eine so globale Maßnahme zu treffen. Und der Schritt wirkte umso überraschender, als er von der Koalition kam, die sich in Fragen der Gesetzgebung und der Redefreiheit haarspalterisch streng verhalten hatte, solange sie in der Opposition gestanden war. Für die Regierung aber, die der Pakt dazu verpflichtete, die Einigung im Parlament durchzubringen, gab es keinen anderen begehbaren Weg. Es hatte also durchaus seine Logik, wenn die Abgefallenen vorab die Unabhängigkeitspartei angriffen und behaupteten, sie verleugne ihre ganze Vergangenheit. Apponyi erhob sich vergeblich, um mit all seiner glänzenden Beredsamkeit die Partei zu verteidigen. Die Debatte wurde immer schärfer und anzüglicher. Sie verkam so weit, dass der Ministerpräsident sich gezwungen sah, mit Géza Polonyi 53 ein Duell auszutragen. Sie beide waren schon ältere Männer, ihre Sekundanten ließen dennoch einen Säbelkampf zu.
Schlimmeres konnte vermieden werden, alles ging unblutig vor sich, denn beide kamen dermaßen außer Atem, dass der Arzt völlige Erschöpfung feststellte. Und das war richtig getan. Die Leute in Pest fabrizierten hierüber freilich viele schlechte Witze,
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