Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
was dem Ansehen der Regierung nicht zum Vorteil gereichte. Das breite Publikum befasste sich nur mit solchen Themen. Karl Luegers gegen Italien gerichtete Rede, die Slawata angekündigt hatte, interessierte niemanden. Aufregung verursachten einzig die im Parlament ausgetragenen Wortgefechte. Dies war vielleicht ein Glück, denn Andrássys kluge Verordnung, dass die Beamten der Staatsverwaltung die Sprache der Bevölkerung zu kennen hätten, bewirkte keine Kommentare. Die Chauvinisten von ganz außen wären wahrscheinlich auch dagegen aufgetreten, hätte der Sturm der Quoten-Debatte nicht alles andere rauschend übertönt.
Mittlerweile verschlechterten sich aber auch die Zustände in Kroatien mit jedem Tag. Die Starčević-Partei 54 verkündete auf einer Großversammlung den Abfall von der ungarischen Krone; in Zagreb wurde die Parlamentssession eröffnet, sie musste aber wegen der revolutionären Stimmung sogleich vertagt werden. Tag für Tag fanden Demonstrationen statt. Aufgrund dessen, was er in Jablánka gehört hatte, war Bálint nun empfänglicher für die Nachrichten aus Kroatien.
In gedrückter Stimmung reiste er zu den Weihnachtsfesttagen heim nach Klausenburg. Die Gefahr der Umzingelung der Zentralmächte, der gegen Italien gerichtete Kriegsplan, der demnächst Wirklichkeit zu werden drohte, die Ereignisse jenseits der Drau, all das belastete ihn und unterstrich den Leichtsinn und die Sorglosigkeit, welche die Welt der ungarischen Politik kennzeichneten, indem die Leute sich nur gegenseitig beobachteten und befeindeten, wie wenn es nichts Wichtigeres gäbe als diese winzigen tagespolitischen Fragen. Bei der Ankunft in Klausenburg sagte er sich, dass es wohl richtig wäre, die Mutter mit einem kleinen Geschenk zu überraschen. Es sollte die Spannung mildern, die in letzter Zeit zwischen ihnen aufgekommen war. Doch dies erwies sich als kein leichtes Unterfangen. Die Mutter nahm von ihm nämlich nur Geschenke an, von denen sich sagen ließ, dass sie nicht ihr, sondern Dénestornya galten: einen alten, silbernen Aschenbecher, eine kleine antike Tafeluhr oder irgendein Porzellan, etwas, was dort hinpasste und so wirkte, als sei es schon immer dort gewesen. Solche Gegenstände bereiteten ihr Freude, denn das alte Schloss betrachtete sie beinahe als eine lebendige Person, deren Bereicherung und Verzierung eine ständige gemeinsame Aufgabe bedeutete.
Da ihm dies in der Hauptstadt nicht eingefallen war, begab er sich nun in Klausenburg in einen Antiquitätenladen, wo er am ehesten hoffen konnte, fündig zu werden.
Dieser Laden gehörte der alten Frau Bruckner. Ihr Geschäft war nicht offen zugänglich. Sie verkaufte ihre Ware in der Belmagyar-Straße in ihrer Wohnung im ersten Stock. Es war eine kleine, dicke Frau. Sie galt als sehr zuverlässig. Nie empfing man aus ihrer Hand eine Fälschung, obwohl sie weder von Stil noch von Epochen eine Ahnung hatte. Hielt sie etwas für sehr alt, dann sagte sie: »Das ist gotisch!«
Frau Bruckner kannte jedermann. Sie freute sich, Abády durch die vollgestopften Zimmer zu führen. Hier fand sich alles Erdenkliche, übereinandergeschichtete Objekte, Schubladenschränke, Kredenzen, Tische, Uhren und Statuetten und – beliebig an die Wand gehängt – Bilder, Lampenschirme, Trachten und Priestergewänder.
»Ich habe eine wunderbare Tasse«, sagte die alte Frau, »soeben habe ich sie bekommen, keiner hat sie bisher gesehen.«
Und sie führte ihren Kunden zu einem Gestell, wo unter allerlei fünftrangigen Gegenständen drei tatsächlich wunderbare »Alt-Wien«-Tassen standen. Insbesondere die mittlere bedeutete für Bálint eine Überraschung. Sie war mit dem gemalten Porträt des Gouverneurs Abády, Mutters Urgroßvater, geschmückt. Um die vergangene Jahrhundertwende war es nämlich Mode gewesen, einander – in der Regel Verwandten – Tassen mit solchen Bildnissen zu schenken, so wie man heutzutage mit Unterschrift versehene Fotografien zum Geschenk macht. In Dénestornya besaßen auch sie zwei solche Tassen, und nun kam hier die dritte zum Vorschein.
»Wo in aller Welt haben Sie die her?«, wunderte sich Bálint. Frau Bruckner indessen lächelte bloß rätselhaft.
»Von einer vorzüglichen Stelle. Ich kann es Ihnen natürlich nicht sagen, aber die Herkunft ist wirklich die beste.«
Sie verlangte sechzig Kronen für die Tasse. Bálint kaufte sie, ohne jedes Feilschen. Die Antiquitätenhändlerin begleitete ihn bis zur Tür. Sie sagte: »Belieben nach einigen Tagen
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