Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
überraschender Rücktritt hätte die Leute weniger verstört, wenn sie vorher von Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Bundesregierung oder anderen Kräften Kenntnis gehabt hätten. Ob es solche Auseinandersetzungen gegeben hat, weiß ich nicht. Ich möchte mich jedoch nicht in den Chor derjenigen einreihen, die Herrn Köhler seines Rücktritts wegen angegriffen haben. Er ist ein ordentlicher Mann, dem ich voll vertraue. Er gehört nicht zu meiner Partei, aber ich kenne ihn seit etwa 20 Jahren.
Bei Ihrer ersten Begegnung sollen Sie sich allerdings gestritten haben.
Das stimmt. Ich war längst schon Privatmann, während er ein tüchtiger Staatssekretär bei Theo Waigel im Bundesfinanzministerium war. Es ging um den bevorstehenden Beschluss, eine gemeinsame europäische Währung zu schaffen. Das war eine Materie, mit der ich damals seit mehr als zehn Jahren auf das Engste vertraut war, ich war damals auf diesem Felde noch ein genauso guter Fachmann wie Köhler. Worüber wir uns im Einzelnen gestritten haben, weiß ich nicht mehr. Aber ich habe bei dieser Gelegenheit begriffen: Dieser Mann taugt was.
Hatten Sie später noch mit ihm zu tun?
Ich habe einen gewissen Anteil an seiner Berufung zum Chef des Internationalen Währungsfonds gehabt, das war im Jahr 2000. Bundeskanzler Schröder wollte, dass es endlich einmal ein Deutscher wird. Er schlug Caio Koch-Weser vor, aber den wollten die Amerikaner nicht. Daraufhin fragte mich Schröder um Rat. Ich sagte: Du musst jemanden nehmen, den die Amerikaner nicht ablehnen können, weil er öffentliches Ansehen in der Welt hat: Horst Köhler! Er war damals Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London. Schröder entgegnete: Aber das ist doch ein CDU-Mann! Ich sagte: Ja, aber einer, den die USA nicht ablehnen können.
Ohne diesen Karrieresprung wäre er später wahrscheinlich gar nicht Bundespräsident geworden.
Kann sein. Die Vorgeschichte weiß Angela Merkel wahrscheinlich nicht, aber Horst Köhler kennt sie.
Wie erklären Sie sich denn Köhlers Rücktritt? Er selbst hat in seiner kurzen Abschiedsrede gesagt, die Kritik an seinen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr lasse den notwendigen Respekt für sein Amt vermissen.
Das war wohl auch so. Trotzdem ist es für mich schwer vorstellbar, dass dies der alleinige Rücktrittsgrund gewesen ist.
Schaden die Rücktritte Kochs und Köhlers dem Ansehen der deutschen Politiker?
Das glaube ich nicht. Das Ansehen der gesamten politischen Klasse ist gegenwärtig nicht besonders gut. In dieser Beziehung ist Deutschland aber kein Sonderfall; Sie haben dasselbe Problem in Frankreich, in England, in Italien und in vielen anderen Ländern.
Aber wenn zwei fähige Politiker – und im Fall Köhlers auch ein besonders beliebter – einfach aufhören, vertieft das doch den Graben zwischen Politikern und Bürgern!
Das würde ich unterschreiben. Der eigentliche Grund für den schlechten Ruf der Politiker ist aber ein anderer: In der ganzen westlichen Welt hat das Publikum den Eindruck gewonnen, dass die Politiker die Spekulationen der Finanzmanager nicht eindämmen wollten und deshalb die Weltfinanzkrise nicht verhindern konnten. Zwar haben die Regierungen durch gewaltige Staatsausgaben, Staatsgarantien, Staatsverschuldung und eine enorm aufgeblähte Geldmenge eine Weltdepression vermieden. Aber von ihren fulminanten Absichtserklärungen zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte und deren Finanzinstrumente ist bisher noch nichts verwirklicht worden. Deshalb ist das Publikum in Nordamerika und Europa enttäuscht von der politischen Klasse – wie ebenso von der Managerklasse.
Ich frage Sie das, weil Sie es in unseren Gesprächen stets vermieden haben, wohlfeile Parteipolitik zu betreiben: Haben Sie jemals eine Regierung erlebt, die so zerstritten und erschöpft wirkt wie diese schwarz-gelbe Koalition in Berlin?
Nein, ein solches Ausmaß an Uneinigkeit innerhalb einer Regierung habe ich nicht erlebt. Mir fällt allenfalls eine Regierung ein, die ähnlich zerstritten war: die schwarz-gelbe Koalition unter Ludwig Erhard in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, aus der die FDP dann ausgetreten ist. Aber das ist lange her, und es war auch nicht so bedeutend.
Wie konnte die Regierung derart aus dem Lot geraten?
Die Ursache liegt schon beinahe ein Jahr zurück. Im Sommer 2009 bewegten sich die damaligen Regierungsparteien CDU und CSU und die damalige Oppositionspartei FDP aufeinander zu und
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