Verstohlene Kuesse
ein. Ein paar Minuten starrte sie reglos auf die Stelle neben seiner Schulter, die seit Jahren das Vanzazeichen trug.
Er sah an sich herab. »Die Blume von Vanza«, sagte er. »Hast du vielleicht auf etwas Interessanteres gehofft?«
Sie hob den Blick und sah ihn an. »Ich hatte etwas vollkommen Unbekanntes erwartet«, sagte sie.
»Was sagst du da?«
»Ich habe dieses Zeichen schon einmal gesehen, Edison.«
»Wo?«
»Auf dem von Sally Kent bestickten Taschentuch.«
»Wo?«, fragte Edison verständnislos.
»Sie war die bezahlte Gesellschafterin von Lady Ware. Ich habe während der Landparty auf Ware Castle in ihrem Zimmer gewohnt. Erinnerst du dich nicht?«
»Bitte verzeih, Emma, aber ich kann dir immer noch nicht folgen«, antwortete Edison verwirrt.
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und atmete tief ein. »Sally Kent hat genau dieses Zeichen auf ein Taschentuch gestickt, das sie zusammen mit zweihundert Pfund in ihrem Zimmer versteckt hatte. Ich habe beides zusammen mit einem Brief an Sallys Freundin Judith Hope in dem Schlafzimmer entdeckt.«
»Bitte sprich weiter.«
»Es war offensichtlich, dass Sally das Geld und das bestickte Taschentuch für Miss Hope bestimmt hatte. Also habe ich ihr beides kurz nach unserer Rückkehr nach London gebracht. Du erinnerst dich bestimmt an jenen Tag. Du warst ziemlich wütend auf mich, weil ich ein bisschen zu spät zu unserer Kutschfahrt durch den Park erschien.«
Er starrte Emma an. »Was diese Sally Kent betrifft -«
»Edison, sie hatte ein Verhältnis mit Basil Ware, und kurz nach dem Tod seiner Tante war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.«
Stille senkte sich über den Wintergarten, während Edison fieberhaft sämtliche Teile des Puzzles an die richtigen Stellen schob.
Emma sah ihn unbehaglich an. »Ich nehme an, du bist der Ansicht, ich hätte diese Sally Kent und ihre Stickarbeit viel eher erwähnen sollen, stimmt's?«
»Ich denke«, sagte Edison, »dass wir mal wieder Opfer unserer beständigen Sorge um deinen guten Ruf geworden sind.«
»Was willst du damit sagen, Edison?«
»Ich will damit sagen, dass du die Ähnlichkeit zwischen meiner Tätowierung und Miss Kents Stickarbeit bereits viel früher bemerkt hättest, wenn wir uns schon eher und häufiger geliebt hätten.«
28. Kapitel
Er kam zu spät. Das Haus war leer. Nur die Haushälterin war noch anwesend. Edison stand allein im Arbeitszimmer des Mannes, der unter dem Namen Basil Ware in der Londoner Gesellschaft erschienen war.
Er trat an den Schreibtisch und sah sich die geschmolzenen Wachsreste auf dem Boden des Kerzenhalters genauer an. Sie waren leuchtend rot, ebenso wie die Wachsreste in John Stoners Zimmer.
Er nahm ein Stückchen in die Hand und schnupperte daran. Es verströmte den ihm bereits bekannten Kräuterduft. Um den Meister zu erkennen, sieh dir die Kerzen seines Schülers an.
Kurz nach eins an jenem Nachmittag hörte Emma Edison im Flur. Sie legte ihre Feder fort, schob den Brief an ihre Schwester an die Seite und sprang eilig auf.
»Oh, Lady Exbridge, endlich ist er zurück.«
»Das habe ich ebenfalls bemerkt, meine Liebe.« Victoria hob den Kopf von ihrem Buch, nahm ihre Lesebrille ab und blickte in Richtung der Tür der Bibliothek. »Ich hoffe, er hat beruhigende Neuigkeiten für Sie.«
»Ich bin nicht im Geringsten aufgeregt.«
»Ach nein? Es ist ein Wunder, dass Sie mich nicht vollkommen in den Wahnsinn getrieben haben mit Ihren düsteren Prophezeiungen und Ihrem endlosen Herumlaufen. Sie haben sich den ganzen Vormittag über wie die Heldin in einem Horrorroman aufgeführt.«
Emma bedachte sie mit einem entschuldigenden Blick. »Ich kann nichts dazu, dass ich von Vorahnungen und Ängsten geplagt werde.«
»Unsinn. Ich bin sicher, mit etwas Willensstärke hätten Sie diese Neigung sicher bald im Griff.«
Emma wurde einer Antwort enthoben, da in diesem Moment Edison, ohne dem geplagten Jinkins die Möglichkeit zu geben, sein Erscheinen anzukündigen, den Raum betrat. Er nickte seiner Großmutter kurz zu und sah dann Emma an. »Guten Tag, die beiden Damen«, sagte er gerade noch ausreichend höflich.
»Nun?« Emma rannte um den Schreibtisch herum. »Was haben Sie herausgefunden, Edison ?«
»Basil Ware hat seine Sachen gepackt und die Stadt verlassen.«
»Hah. Dann weiß er also, dass wir ihm auf den Fersen sind.«
»Vielleicht.« Edison trat an den Schreibtisch, lehnte sich rückwärts daran an und stützte sich mit beiden Händen ab.
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