Verstohlene Kuesse
innere Wissen, das ihm wie jedem anderen gegeben war.
Hier glühten immer noch Reste des alten Zorns und der Schmerzen, die er als junger Mann verspürt hatte. Hier fand sich die Quelle der Entschlossenheit, die ihn zu einem wahren Großmeister von Vanza hätte werden lassen können, hätte er diesen Weg gewählt. Stattdessen hatte er die Fähigkeit auf die Gründung eines wahren Finanzimperiums verwandt.
Er blickte an den alten Wahrheiten vorbei und konzentrierte sich auf den ruhigen Schein der neuen Wahrheit, deren Existenz er gespürt hatte.
Eine lange Zeit sah er reglos die Flamme an. Nach einer Weile bemerkte er, wie sie gerade lange genug aufflackerte, als dass er ihrer sicher war. Eine Sekunde später brannte sie wieder gleichmäßig wie zuvor, aber er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass er sich diese Wahrheit eingestehen musste, auch wenn sie ihm ein gewisses Unbehagen bereitete.
Die Flamme sprach die Wahrheit, dachte er. Er hatte Emma Greyson nicht nur deshalb eingestellt, weil er der Ansicht war, dass sie ihm während der nächsten Tage nützlich sein würde. Er hatte sie nicht deshalb als Assistentin angeheuert, weil er sie schützen oder ihr finanziell unter die Arme greifen wollte, musste er sich eingestehen. Er hatte die Gelegenheit genutzt, sie näher an sich heranzuziehen.
Ein solches Motiv war höchst ungewöhnlich für einen Mann wie ihn. Wahrscheinlich war es sogar gefährlich, wusste er.
Auf alle Fälle wollte er nicht tiefer in die Flamme sehen.
»Sie haben schon wieder gewonnen, Miss Greyson.« Delicia Beaumont schnappte sich ihren handbemalten Fächer. »Ich sage Ihnen, das ist einfach nicht gerecht. Jetzt haben Sie schon zum dritten Mal in Folge die richtige Karte ausgewählt.«
Auch die anderen Damen, die sich bereit erklärt hatten, an Mirandas neuestem »Spiel« teilzunehmen, drückten raunend ihren Unmut aus.
Emma unterzog die elegante Runde einer verstohlenen Musterung. Bereits seit einer Weile war ihr klar, dass sie den Ärger der Frauen auf sich zog. Es war eins, eine kleine Gesellschafterin in den eigenen Reihen zu dulden, solange sie den Anstand besaß, bei sämtlichen Spielen zu verlieren, aber es war etwas gänzlich anderes, wenn sie dauernd gewann.
Einzig Miranda, die in einem prächtigen schwarzgold gestreiften Abendkleid am Kartentisch Hof hielt wie eine kleine Königin, schien mit Emmas Glückssträhne zufrieden zu sein.
Viele der Damen in dem Kreis hatten nach dem Abendessen mit Champagner und Brandy weitergemacht, und wenn die Männer mit ihrem Port fertig wären und zum Tanzen kämen, würden sie mehr als nur ein wenig angetrunken sein.
Emma war bei Tee geblieben und hatte tapfer mit dem Kopf genickt, als Miranda darauf bestanden hatte, dass sie abermals ihre spezielle Mischung kostete. Dieses Mal hatte sie allerdings nur vorsichtig daran genippt, so dass sie weniger schwindlig und nicht annähernd so elend wie am Vortag war. Trotzdem war die Wirkung des Gebräus alles andere als angenehm. Es war, als wäre ihr Hirn mit einem dunklen, dichten Nebel angefüllt.
»Noch eine Runde«, sagte Miranda fröhlich, während sie die Karten mischte. »Lasst uns sehen, ob eine von uns Miss Greyson schlagen kann.«
Delicia erhob sich abrupt von ihrem Stuhl. »Ich habe genug von diesem lächerlichen Spiel. Ich gehe etwas frische Luft schnappen. Hat vielleicht jemand Lust, mich zu begleiten?« Sie sah die anderen Damen fragend an.
»Ich.«
»Ich auch.«
»Es ist wirklich ziemlich langweilig, wenn immer dieselbe Person gewinnt«, sagte Cordelia Page in spitzem Ton und stand entschieden auf. »Ich hoffe, dass gleich der Tanz eröffnet wird.«
Mit laut raschelnden Satin, Seiden und Musselinröcken rauschten die Frauen durch die Terrassentür.
Miranda sah Emma lächelnd an. »Ich fürchte, sie sind keine guten Verliererinnen, Miss Greyson. Dabei ist es ja wohl kaum Ihre Schuld, wenn Sie heute Abend ein wenig Glück haben, nicht wahr ?«
Das erregte Blitzen in Mirandas Augen machte Emma ein wenig nervös. Entsprechend ihrem Abkommen mit Edison hatte sie sich zur Teilnahme an Mirandas Spielen bereit erklärt. Aber für heute hatte sie genug. Höchste Zeit, dass sie verlor. Außerdem wäre es sicherlich nicht gut, wenn Miranda sich der Wirkung ihres widerlichen Gebräus allzu sicher wäre, dachte sie.
»Noch eine Runde, und dann ziehe ich mich besser auf mein Zimmer zurück.«
Mirandas Miene verriet Missfallen, das sie jedoch eilig zu unterdrücken trachtete.
»Also
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