Verstohlene Kuesse
gut, Miss Greyson, eine Runde noch.« Miranda nahm willkürlich drei Karten von dem Stapel, prägte sie sich ein und legte sie so auf den Tisch, dass Emma sie nicht sah. »Nun denn. Sehen Sie, ob Sie erraten können, was für Karten es sind.«
Emma legte die Hand auf die erste Karte und durch den sanft wirbelnden Nebel in ihrem Hirn erkannte sie deutlich wie die aufgehende Sonne eine Kreuz Vier.
»Herz König, glaube ich.«
Miranda runzelte die Stirn und drehte die Karte um. »Sie haben sich verschätzt, Miss Greyson. Swan, schenken Sie Miss Greyson noch etwas Tee ein, ja?«
Swan trat mit der Kanne an den Tisch.
»Nein, danke. Ich habe keinen Durst mehr«, lehnte Emma ab. »Unsinn. Natürlich haben Sie noch Durst.« Miranda bedachte ihren Kammerdiener mit einem zornigen, ungeduldigen Blick. »Ich habe gesagt, Sie sollen Miss Greyson noch etwas einschenken. Also tun Sie es gefälligst, Swan.« Swan bedachte Emma mit einem flehentlichen Blick. Sie brauchte weder Tee noch ihr Gespür, um zu wissen, dass der arme Mann in einer schwierigen Lage war, und so sah sie ihn lächelnd an.
»Warum nicht? Ich glaube, ich trinke doch noch etwas Tee. Danke, Swan.«
Erleichterung blitzte in seinen Augen auf, während er mit leicht zitternder Hand nachschenkte.
Als er schließlich einen Schritt zurücktrat, streckte Emma die Hand nach der Tasse aus, umfasste sie absichtlich ungeschickt und ließ sie auf den Teppich fallen.
»Oje«, murmelte sie. »Jetzt sehen Sie, was ich getan habe.« Miranda sah aus, als wäre sie bereit zu explodieren. »Holen Sie das Mädchen, Swan.«
»Sehr wohl, Madam.« Swan floh aus dem Raum.
»Ich glaube, ich habe etwas Tee auf mein Kleid geschüttet.« Emma erhob sich von ihrem Platz. »Bitte entschuldigen Sie mich, Lady Ames. Ich denke, es ist wirklich an der Zeit, dass ich mich zurückziehe.«
Ein kaltes Glitzern trat in Mirandas Augen, als sie erwiderte: »Aber, Miss Greyson, der Abend hat doch gerade erst angefangen.«
»Wie Sie wissen, bewege ich mich nur selten in Kreisen wie diesem. Ich bin es nicht gewohnt, abends so lange aufzubleiben.« Emma sah sie mit einem zuckersüßen Lächeln an. »Außerdem bezweifle ich, dass irgendjemand mein Fehlen überhaupt bemerken wird.«
»Sie irren sich, Miss Greyson, ich werde es bemerken.« Unverhohlen wütend beugte sich Miranda leicht über den Tisch. »Ich möchte noch ein Spiel spielen.«
Emmas Nackenhaare sträubten sich, und ihre Hände kribbelten.
Ich habe Angst , musste sie sich eingestehen. Ich habe Todesangst. Ohne ersichtlichen Grund.
Zum Teufel mit dem Weib. Ich werde nicht zulassen, dass sie eine derartige Macht über mich bekommt.
Miranda beobachtete sie wie eine Katze die in der Ecke gefangene Maus.
Erneut sträubten sich Emmas Nackenhaare, wieder nahm sie das Kribbeln ihrer Hände wahr. Was ist nur mit mir los? Schließlich hält sie mir keine Pistole an den Kopf.
Mit äußerster Willensanstrengung riss sich Emma zusammen und raffte die Röcke ihres langweiligen grauen Kleids. »Gute Nacht, Lady Ames. Ich habe für heute Abend genug Karten gespielt.«
Sie wagte nicht, über die Schulter zurückzublicken, um zu sehen, wie Miranda die Abfuhr hingenommen hatte, und zwang sich, ruhigen Schrittes aus dem Raum zu gehen.
Auf dem Weg zur Treppe blieb sie nahe der Tür zum Ballsaal stehen, um nach ihrer Arbeitgeberin zu sehen. Zahlreiche Menschen hatten sich in dem Saal versammelt, denn neben Wares Hausgästen waren heute Abend Mitglieder des heimischen Adels auf der Burg zu Gast.
Zu Emmas Erleichterung hatte Chilton Crane unter dem Vorwand, er habe Kopfschmerzen, den ganzen Tag das Bett gehütet, so dass er ihr nicht über den Weg gelaufen war.
Sie sah sich verstohlen um und entdeckte Letty in einer kleinen Gruppe am anderen Ende des Raums. Sie trug ein rüschenbesetztes Satinkleid, das so tief ausgeschnitten war, dass es ihre Brüste nur mit Mühe hielt. Wieder einmal hielt sie ein Glas Champagner in der Hand. Ihr Gelächter wurde immer schriller, und sicher bräuchte sie am nächsten Morgen abermals ihr Tonikum. Ebenso sicher, wie sie die Dienste ihrer Gesellschafterin an diesem Abend nicht mehr benötigte.
Dankbar, eine Zeit lang ihrer doppelten Beschäftigung enthoben zu sein, wandte sich Emma der Treppe zu.
Sicher würde die Arbeit, die sie in Edisons Auftrag erledigte, in dieser Woche die anstrengendere ihrer beiden Tätigkeiten sein. Ohne das Abkommen mit ihm hätte sie sicher nie auch nur einen weiteren Tropfen von
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