Verstohlene Kuesse
Der Duft eines Krautes, das er nicht benennen konnte, das jedoch Erinnerungen in ihm weckte.
Den eigenartigen Duft hatte er vor Jahren in den Tempelgärten von Vanzagara kennen gelernt. Er wäre für ewig mit der Zeit seines Lebens verbunden, in der er die grauen Roben eines Eingeweihten in die Kunst von Vanza getragen hatte. Er brachte die Vergangenheit zurück. Er sah sich selbst als jungen Mann, der sich unter der Leitung purpurgewandeter Mönche mit kahlgeschorenen Köpfen mit Philosophie beschäftigte. Er erinnerte sich an morgendliche Wachen dort, wo die üppigen Gärten in den Dschungel übergingen, erinnerte sich an endlose Stunden, in denen er sich in den alten Kampftechniken, die das Herz der Lehre von Vanza bildeten, geschult hatte.
Er schob die alten Bilder fort, stellte die dunkle Flasche in die Truhe zurück und zog die nächste heraus. Der eigenartig süße Duft, den die getrockneten Kräuter verströmten, war ihm ebenfalls von Vanzagara her bekannt.
Zweifellos Zutaten für ein okkultes Elixier.
Das Buch der Geheimnisse jedoch war nirgendwo zu sehen. Gerade als er den Deckel der Truhe wieder schließen wollte, berührten seine tastenden Finger eine kleine Lederschatulle.
Er nahm sie heraus, machte sie eilig auf und entdeckte eine Reihe im Licht der Kerze schimmernder silberner Kugeln sowie eine kleine Schachtel Schießpulver. Das Fach, in dem die kleine Pistole hätte liegen sollen, war hingegen leer.
Er fragte sich, ob Miranda die Waffe wohl in ihrem Retikül gehabt hatte, als sie versucht hatte, ihn dazu zu bewegen, dass er mit ihr auf die Terrasse kam. Es wäre interessant zu sehen, wie einige ihrer Eroberungen darauf reagieren würden, wenn sie erführen, dass sie sie mit einer Pistole bewaffnet verführt hatte. Diese Erkenntnis hätte das Verlangen eines durchschnittlichen Gentleman sicher zumindest teilweise gedämpft. Nach Ansicht der meisten Menschen in den sogenannten besseren Kreisen gehörte eine Pistole ausschließlich in Männerhand.
Er schloss die Truhe wieder, richtete sich auf und sah sich abermals im Zimmer um.
»Sie überraschen mich, Miranda«, sagte er leise in die Dunkelheit. »Ich hätte gedacht, Sie wären zu clever, um auch nur einen Gedanken an Zaubertränke und ähnlichen Unsinn zu verschwenden. Tja, aber wie die Sache nun mal steht, ist tatsächlich nicht mehr auszuschließen, dass Sie am Verschwinden des Buchs der Geheimnisse beteiligt sind.«
Vor der Tür von Mirandas Schlafzimmer wurden gedämpftes Lachen sowie weibliches Murmeln laut, das sich wieder entfernte. Anscheinend begannen die Techtelmechtel heute Abend ungewöhnlich früh.
So viel zu einem bequemen Abgang, dachte er. Er konnte nicht riskieren, dass irgendjemand ihn aus diesem Zimmer kommen sah.
Hastig blies er seine Kerze aus und wandte sich dem Fenster zu.
Wenigstens eine Frage hatte er geklärt, sagte er sich, als er das Fenster öffnete. Es gab eindeutige Beweise dafür, dass Miranda irgendwie in den Besitz des Rezepts aus dem Buch der Geheimnisse gekommen war, das Farrell Blue vor seinem Tod entziffert hatte. Wie sie es bekommen hatte und ob sie über den Verbleib des Buchs der Geheimnisse Bescheid wusste, war noch nicht klar. Bis er die Antworten auf diese Fragen hätte, ließe er sich am besten nicht anmerken, dass er ihr auf den Fersen war.
Er warf einen Blick hinunter und stellte erleichtert fest, dass offenbar niemand im Garten war. Dann griff er nach dem um seine Taille geschlungenen Seil, warf ein Ende aus dem Fenster, knotete das andere Ende an einem Mauerhaken fest, zog ein paarmal kräftig daran und merkte, dass es hielt.
Zufrieden, weil er nicht vergessen hatte, wie man den Vanzaknoten knüpfte, schwang er sich hinaus. Er stemmte seine Stiefel fest gegen die Wand, umfasste das Seil mit seinen behandschuhten Händen und hangelte sich eilig in den Schatten der Hecken hinab.
Als er sicher auf der Erde angekommen war, riss er seitwärts an dem Seil, so dass sich der Knoten am oberen Ende öffnete und das Seil in seiner gesamten Länge neben seine Füße fiel, wo er es behände aufrollte.
Nicht schlecht, wenn man bedachte, dass er den Trick seit über zehn Jahren nicht mehr angewandt hatte, dachte er mit einer gewissen Selbstzufriedenheit.
Einen Augenblick lang blieb er im Dunkeln stehen und dachte über seine nächsten Schritte nach. Aus dem Ballsaal erscholl immer noch fröhliche Musik. Es war beinahe zwei Uhr morgens, aber das Fest neigte sich noch keineswegs dem Ende zu.
Wenn er
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