Verstoßen: Thriller (German Edition)
Resignation. Sie hatte alles mitangehört.
Sie wusste Bescheid .
Er hätte vor Scham im Boden versinken können. Was sollte er sagen? Dass jetzt das geschehen würde, wovor sie am meisten Angst hatte, ausgerechnet jetzt, da sie auf seine Unterstützung gehofft hatte? Da sie ihn dringender brauchte als je zuvor?
Susan war nicht der Typ, ihm eine Szene zu machen. Kein beleidigtes Schweigen, keine bitteren Vorwürfe, kein Drama. Sie verstand ihn. Sie war die einzige Frau, sogar der einzige Mensch, der ihn ganz und gar begriffen hatte. Vielleicht machte das die Sache noch schlimmer. Etwas zu verstehen war etwas anderes, als damit umgehen zu können.
Und das Timing hätte schlechter nicht sein können.
Er räusperte sich. Blieb stehen. »Sven hat ein Problem. Er war gestern schon hier deswegen. Wenn ich mich nicht darum kümmere, wird sein kleiner Sohn womöglich ermordet.«
Ihre Augen weiteten sich. »Thomas?«
Er ging zu ihr, fasste sie am Arm und schob sie sanft zurück ins Wohnzimmer, dirigierte sie zur Couch. »Setz dich noch mal kurz, bitte.«
Sie setzte sich, blieb aber auf der Hut.
Maier setzte sich ihr gegenüber auf den Couchtisch und nahm ihre beiden Hände. »Thomas ist entführt worden«, sagte er. Überging ihre erschrockene Reaktion. »Anscheinend hängt es mit irgendeiner Rechtsangelegenheit zusammen, mit der Walter zu tun hat, der neue Freund von Valerie. Du weißt schon, dieser Richter. Ein paar Leute sitzen in Untersuchungshaft und wollen jetzt Druck auf ihn ausüben.«
»Aber … aber warum Thomas?«
»Wahrscheinlich wissen sie nicht, dass Thomas nicht sein leibliches Kind ist. Oder es ist ihnen egal.«
»Mein Gott …« Sie brauchte eine Weile, um das Gehörte zu verdauen. »Aber was hast du damit zu tun?«, fragte sie dann. »Warum geht Sven nicht zur Polizei?«
»Er hat Angst, dass die Sache dann aus dem Ruder läuft und die den Kleinen umbringen. Susan, ich kann Sven jetzt nicht im Stich lassen. Nach allem, was er für mich getan hat.«
Letzteres war die reine Wahrheit. An seine erste Begegnung mit Sven konnte Maier sich nicht erinnern, weil er unter Schock gestanden hatte. De facto hatte er im Sterben gelegen. Sven hatte die Lage beurteilt und dann gehandelt. War nicht mit seiner Berufsethik oder sonst einem Quatsch angekommen, sondern hatte getan, was die Situation ihm abverlangte. Und das auch noch verdammt gut, zumal für jemanden, der zu christlicheren Zeiten Hunde kastrierte oder Kaninchen mit einer Spritze in die ewigen Jagdgründe beförderte. Dass Maier noch am Leben war, hatte er Sven zu verdanken. Und dass er jetzt bei Susan wohnte und nicht im Gefängnis saß, denn Svens Lippen waren nach jener Nacht fest versiegelt geblieben. Sven hatte ihm das Leben gerettet und nie eine Gegenleistung verlangt.
Seinen Sohn zurückzuholen oder es doch wenigstens zu versuchen, war das Mindeste, was Maier nun umgekehrt für ihn tun konnte.
Plötzlich schüttelte Susan den Kopf. »Nein, Sil. Darum geht es nicht. Nicht in Wirklichkeit.«
Es war beängstigend. Sie kannte ihn besser als er sich selbst. Dagegen anzugehen, wäre sinnlos. Sinnlos und beleidigend. »Tut mir leid, dass es ausgerechnet jetzt sein muss«, sagte er leise, »wo es deinem Vater gerade so schlecht geht.« Und dir auch, fügte er in Gedanken hinzu.
»Wann brichst du auf?«
»Sobald ich eine Waffe habe. Sven ist unterwegs und kümmert sich drum. Es kann bis morgen oder übermorgen dauern. Kann aber auch heute Nacht losgehen.«
10
Es war zehn nach halb vier Uhr morgens. Unsicheren Schrittes schleppte Walter Elias sich durch die Parkanlage hinter dem Haus von Geran Staal. Er atmete schnell und versuchte, möglichst nicht zu hyperventilieren. Die Schaufel, die er mitschleppte, kam ihm schwer vor wie ein Betonblock.
Angst vor der Dunkelheit hatte er nicht. Nicht mehr, seit ihm im Alter von etwa elf Jahren in einem Ferienlager klar geworden war, dass es Geister und Gespenster lediglich in der menschlichen Fantasie gab. Seither war die Nacht für ihn einfach eine Fase der Dunkelheit, die von vierundzwanzig Stunden ungefähr ein Drittel in Beschlag nahm – je nach Jahreszeit.
Mehr hatte es mit der Nacht nicht auf sich.
Kein einziger Unterschied .
Ihn schauderte.
Blätterrascheln und Wind gab es tagsüber genauso. Man achtete dann nur nicht darauf, vielleicht weil man weniger auf der Hut war. Vielleicht auch weil die Sinne, kaum dass die Sonne hinter dem Horizont versunken war, ein Eigenleben zu führen begannen. Als
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