Verstoßen: Thriller (German Edition)
»Eines Tages musste dann eine seiner Stuten nach Frankreich gebracht werden, um dort ihr Fohlen zur Welt zu bringen.«
»Wäre das nicht auch in den Niederlanden gegangen?«
»Schon, aber dann hätte das Tier bei französischen Rennen nicht an den Start gedurft. Und in Frankreich ist der Sport um einiges lukrativer als in den Niederlanden. Wenn man mit Rennpferden was verdienen will, muss man ausweichen. Das hab ich ihm sogar noch selbst erzählt … Ich habe ein paar Jahre in Frankreich gearbeitet.«
»Das wusste ich gar nicht. Was hast du denn da gemacht?«
Sven winkte ab. »Nichts Besonderes. Als Tierarzt eben. Hatte hauptsächlich mit Pferden zu tun.«
»Okay, und dann?«
»Er musste eine dieser Stuten wegbringen und fragte Valerie, ob sie mitwollte. Aber bei mir gingen die Alarmglocken immer noch nicht an. Er war schließlich fast zwanzig Jahre älter, graue Haare, alt, du weißt schon. Und hässlich. Dünn wie mein kleiner Finger und vier Meter lang oder so.«
»Aber er hatte Einfluss und Status«, bemerkte Maier. »Mehr als du.«
Sven sah ihn verständnislos an.
»Status, Geld, Macht. Das wirkt. Instinktiv. Egal, wie einer aussieht oder wie alt er ist – wenn er nur genug Einfluss hat, kriegt er jede Frau rum.«
Sven schien aufrichtig erstaunt. »So einfach ist das?«
Durch seine verspiegelte Sonnenbrille sah Maier Sven schweigend und mit gerunzelter Stirn an. Diese naive Lebenseinstellung
war ihm bei seinem Nachbarn schon öfter aufgefallen. Vielleicht hatte er doch zu oft in den Hintern einer Kuh hineingeschaut. Sodass er sich auch in seinem Alltag eine Art Tunnelblick angewöhnt hatte.
»Sieh dich doch um«, sagte Maier schließlich. »Je reicher und einflussreicher die Männer, desto hübscher und jünger die Frauen, die um sie herumscharwenzeln.«
»Ach komm! Wir reden hier über einen Richter. Nicht über einen Popstar.«
»Das ist deine Wahrnehmung. Valerie hat das offenbar anders gesehen.«
»Dann war ich vielleicht tatsächlich naiv. Dass sie etwas für ihn empfinden könnte, ist mir keine Sekunde lang in den Sinn gekommen. Außerdem schien mit seiner Ehe alles in Ordnung zu sein. Na ja, langer Rede kurzer Sinn: Auf diesem haras , diesem Gestüt in der Normandie, muss dann irgendwas passiert sein. Denn danach hat Valerie mich immer zurückgewiesen, wenn ich … na ja … mich ihr nähern wollte. Zu müde, keine Lust, was auch immer. Sie ist mir ausgewichen. Und irgendwann war sie einfach verschwunden. Hat sich nicht mal getraut, es mir ins Gesicht zu sagen. Eines Nachts kam ich nach Hause, und auf dem Küchentisch lag ein Brief.« Der Bierdeckel, den Sven zwischen den Fingern gespannt hatte, brach in der Mitte durch. »Und dann fing das Hickhack mit der Vormundschaft an. Warum das so kompliziert werden musste, habe ich bis heute nicht begriffen. Thomas war … ist mein Ein und Alles. « Sven schniefte und wandte den Blick ab.
Die Frau mit dem blauen Top war verschwunden.
»Wir finden ihn wieder«, sagte Maier. »Und sobald wir wissen, wo sie ihn festhalten, hole ich ihn da raus, das schwöre ich dir.«
15
Seine Haut sah heute Morgen noch dünner aus. Fast schon durchsichtig. »Wo bin ich?«, fragte er.
»Im Krankenhaus in Eindhoven, auf der Intensivstation.«
»Nicht mehr in Den Bosch?«
Susan schüttelte den Kopf. »Nein, hier haben sie bessere Geräte und so.«
»Darauf kommt’s sowieso nicht mehr an.«
»Doch, natürlich.«
»Wo ist Sabine?«
Sie biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie sagen? Sie hatte Sabine erst gestern telefonisch zu fassen gekriegt. Ihre Schwester würde nicht in die Niederlande kommen. Nicht wegen eines lebenden Vaters und wegen eines beinahe toten erst recht nicht. Sabine hatte Susan guten Mut gewünscht und sie ohne sonderliche Begeisterung eingeladen, sie auf dem Bauernhof besuchen zu kommen, wenn sie den ganzen Ärger hinter sich hätte. Kurz vor dem Auflegen hatte sie noch erwähnt, sie sei im siebten Monat schwanger. Und damit, hatte sie gesagt, könne Susan ja auch die Abwesenheit ihrer Schwester erklären – schwangere Frauen wurden von den Luftfahrtgesellschaften nicht an Bord gelassen.
Dass ihre Schwester schwanger war und sie selbst folglich demnächst Tante würde, kam für Susan völlig überraschend.
Gefühlsarmut als Familienleiden.
Susan beugte sich leicht über das Bett.» Sabine kann nicht kommen«, sagte sie. »Sie kann den Hof nicht allein lassen.«
Kurz blieb es still. Müde schüttelte er den Kopf, eine Bewegung, die
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