Verstoßen: Thriller (German Edition)
Wegschauen Svens beunruhigten ihn. Er verspürte einen Stich der Eifersucht. Sven hatte schon Tür an Tür mit Susan gewohnt, ehe er selbst dort auch nur einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Wenn jetzt gleich eine Beichte folgte, die mit Susan zu tun hatte, wurde es kritisch. Er konnte einiges vertragen, und Sven war ein netter Typ, aber allein schon beim Gedanken daran wurde ihm schlecht. Unwillkürlich umklammerte er sein Glas.
»Ich bin eines Abends spät im Internet gewesen – hab gechattet, um genau zu sein«, sagte Sven, dem Maiers plötzliche Angespanntheit ganz entging. »Mit einer Frau, die sich gerade erst hatte scheiden lassen. Sie wollte sich selbst wiederfinden oder so in der Art. Eigentlich ziemlich klischeehaft. Irgendwann dachte ich dann: kann mir doch egal sein, und hab nach ihrer Adresse gefragt.«
Maier ließ sich erleichtert in seinen Rohrstuhl zurücksinken und atmete wieder aus.
»Die Alte war total gestört, sag ich dir«, fuhr Sven fort. »Amsterdam, eine Wohnung im vierten Stock, nach hinten raus, die Frau macht die Tür auf, und ich seh auf Anhieb: voll Klag.«
»Klag?«
Sven wandte sich ihm zu, mit hochgezogener Braue. »Willkommen auf der Erde! K-l-a-g: Klasse-Leib, Arsch-Gesicht.«
Maier prustete in sein Glas.
»Sie hat mich quasi in die Wohnung reingezerrt. Du glaubst es nicht: alles in Rosa, Lichterketten an der Decke, Kerzen. Es sah verdammt nach Luxusbordell aus – nicht, dass ich je in einem gewesen wäre.«
»Okay, und dann?«
»Na ja, ich hab mich echt nicht wohlgefühlt. Ich dachte … gleich kommt ein Typ mit einer Videokamera aus dem Schrank gesprungen und der soll dann mitmachen, oder so. Ich wusste wirklich nicht, was ich zu erwarten hatte. Das war alles total daneben.«
Maier musste grinsen. Er sah es alles vor sich: Sven inmitten von weichem, rosa Plüsch, schüchtern um sich blickend, mit Schweißperlen auf der Stirn.
Er selbst hätte sich sofort wieder aus dem Staub gemacht.
»Und dann?«
»Keine fünf Minuten später saß ich bei ihr im Schlafzimmer. Na ja, saß …« Sven schüttelte den Kopf. »Meine Güte, die hat das halbe Haus wach geschrien.«
»So nervös warst du dann also doch nicht«, sagte Maier grinsend.
Sven zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Maier nahm noch einen Schluck Mineralwasser. »Ich finde, man muss schon ziemlich lebensmüde sein, um als Frau jemanden
aus dem Internet aufzugabeln und ihn nachts, wenn man allein ist, bei sich in die Wohnung zu lassen. Wer weiß, was für gestörte Idioten da ankommen.«
»Sie hatte es nötig, schätze ich. Genau wie ich. Aber das eine Mal hat mir dann auch gereicht. Zumal mir hinterher eingefallen ist, dass ich in der Woche vermutlich nicht der Einzige war.«
»Also keine Klags mehr?«
Sven schüttelte den Kopf. Er nahm einen Bierdeckel vom Tisch und wölbte ihn zwischen Daumen und Fingern. »Nein«, sagte er leise. Die Fröhlichkeit wich aus seinen Zügen. »Ich war Besseres gewöhnt. Valerie … – du hast sie ja nie kennengelernt, aber sie ist verdammt hübsch, sag ich dir. Und intelligent obendrein. Sie hatte alles, was man sich wünschen konnte, und ich hatte keinen Blick dafür. Fand es immer ganz selbstverständlich. War nur mit der Praxis und den Kunden beschäftigt. Im Grunde also mit mir selbst. Ich war verheiratet und hatte ein Kind – alles geritzt und geregelt, dachte ich wohl. Was sollte mir schon passieren? Mein Gott, ich war so unglaublich dumm.«
»Wie hat Valerie diesen Richter-Kerl eigentlich kennengelernt? «
Sven verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Über mich. Lustig, was? Ich habe die beiden sozusagen miteinander bekannt gemacht.«
»Und wie kam das?«
»Ich habe Walters Pferde behandelt. Vier englische Vollblut-Rennpferde und ein KWPN-Dressurpferd, auf dem seine Frau eigentlich zu selten geritten ist. Darüber hat er sich des Öfteren beschwert. Valerie hatte immer schon geritten, seit ihrer Kindheit, also habe ich sie, als ich wieder mal zu Walter musste, einfach mitgenommen. Dann ist sie immer öfter dort gewesen. Irgendwann hat sie angefangen, mit dem Gaul an Turnieren teilzunehmen, während Walters Frau, Emily, auf Thomas
aufgepasst hat. Da sie selbst keine Kinder bekommen konnten, kümmerte Emily sich nur allzu gerne um Thomas. Und mir war es auch ganz recht. Ich hatte den Rücken frei, konnte Abend- und Nachtdienste machen, ohne dass Valerie sich beschwerte, und Thomas war in guten Händen.« Unablässig knickte Sven den Bierdeckel hin und her.
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