Verstrickung des Herzens
seinen Bruder und seine Schwägerin an, die im Bett saßen und ihn erwartungsvoll musterten.
»Tut mir leid, Tara«, entschuldigte er sich, »ich dachte ...«
»Was du dachtest, weiß ich«, unterbrach sie ihn. »Leider bist du im falschen Zimmer. Versuchs mal am Ende des Flurs. Die letzte Tür links.«
»Du hättest an die Haustür klopfen können.« Kritisch inspizierte Jarrett die äußere Erscheinung des Eindringlings.
»Allzulange kann ich nicht bleiben«, erklärte James.
»Nun, vielleicht solltest du lange genug bleiben, um mit uns zu reden.«
»Nicht mit uns«, protestierte Tara.
»Natürlich, du hast recht«, stimmte Jarrett zu. »Geh zu Teela, James. Aber vorher will ich wissen, was eigentlich los ist. Eine Massenflucht?«
»Ja.«
»Unter deinem Kommando?«
»Nicht direkt.« James drehte sich zögernd um. »Ich schloß mich den anderen nur an, weil ich keine Wahl hatte — falls ich jemals lebend aus dem Castillo herauskommen wollte. Michael Warren wurde über meine Gefangenschaft im Castillo informiert.«
»Dann mußt du aber die Stadt möglichst schnell verlassen.«
»Morgen früh breche ich auf, bevor unsere Flucht entdeckt wird.«
»Also hat Jesup seinen großartigen Fang verloren — den legendären Häuptling?«
»Nein, Osceola wird sterben. Vielleicht bleibt ihm noch ein bißchen Zeit, ein paar Wochen oder Monate. Jesup glaubt, nachdem er den mico verhaftet hat, wird er den Krieg gewinnen. Da irrt er sich.«
»Ja, ich weiß«, seufzte Jarrett.
Lautlos öffnete James die Tür und schloß sie hinter sich.
»Sollen wir's wirklich erlauben?« fragte Jarrett seine Frau. »Womöglich kriegt das arme Mädchen einen Herzanfall.«
»So ein Schwächling ist sie nicht, aber vielleicht versucht sie ihn umzubringen«, entgegnete Tara seelenruhig. »Verdient hätte er's. Wie auch immer, die beiden müssen ihre Probleme selber lösen.«
»Jetzt, wo James aus einem Militärgefängnis entwichen ist, sind die Probleme größer denn je.«
»Sie hatten kein Recht, ihn festzuhalten. Seine Flucht war unumgänglich. Wenn er im Castillo bliebe, würde Warren ihn zweifellos ermorden lassen. Nur eins verstehe ich nicht. Warum will er verschwinden? Wir könnten ihn doch verstecken.«
»Unsinn, bei uns würde man zuerst nach ihm suchen.«
»Aber ...«
»Tara!«
»Hör mir doch zu ...«
»Tara!«
»Jarrett ...«
Wie er aus langer Erfahrung wußte, gab es nur eine einzige Möglichkeit, seine Frau zum Schweigen zu bringen. Und so küßte er sie.
Wieder ein schrecklicher Traum ... Auf schmalen Wegen rannte sie durch den Wald, von Insekten umschwirrt, und sie trug eine schwere Last. Sie wurde verfolgt, die beängstigenden Schritte kamen immer näher. Plötzlich hörte sie ein Zischen und schrie beinahe auf, als eine Schlange von einem tiefhängenden Zweig herabschnellte.
Sie betrachtete die Bürde in ihren Armen — ein Baby — dunkelhaarig, winzig, neugeboren, so hilflos. Nun glaubte sie, den Atem des Verfolgers im Nacken zu spüren. Entsetzt drehte sie sich um.
Aber zwischen den Bäumen sah sie niemanden. Wer jagte sie durch die Wildnis? Ein Soldat oder ein Seminole? Nur eins wußte sie — er wollte sie töten. Erst sie, dann ihr Kind ...
Lautlos betrat James das Zimmer. Die Balkontür stand offen. In geisterhafter Grazie flatterten die dünnen, vom Nachtwind bewegten Leinenvorhänge. Helleres Mondlicht fiel herein als ins Zimmer seines Bruders, und er sah sie im Bett liegen, die dunkelroten Haare wie verschlungene Flammen auf dem weißen Kissen. Rastlos warf sie sich umher.
Sie trug ein Nachthemd aus elfenbeinfarbener Baumwolle, mit Rüschen besetzt, hochgeschlossen — geradezu absurd in seiner keuschen Wirkung, abgesehen von den deutlich vergrößerten Brüsten, über die sich der dünne Stoff spannte. James ging zum Bett und starrte sie an, genauso fasziniert wie bei jener ersten Begegnung auf Cimarron. Seither war sie ihm so vertraut geworden. Und trotzdem gewann er den Eindruck, er würde sie nicht wirklich kennen. Wieso könnte er sonst an ihr zweifeln?
Was nun, fragte er sich. Durfte er ihr Schicksal mit seinem verbinden — jetzt, wo er in größerer Gefahr schwebte denn je? Erst nach dem kurzen Gespräch mit Jarrett war ihm zu Bewußtsein gekommen, daß man ihm vorwerfen würde, er habe die Massenflucht geplant. Jetzt wäre Jesup durchaus berechtigt, seinen Kopf zu fordern.
Sollte er gehen, ohne Teela zu wecken, und ihrem unruhigen Schlaf überlassen, ohne sie zu berühren, mit ihr zu
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