Versuchung
du in deiner momentanen Situation nicht
riskieren. Dein Vater ist sicher noch sehr verärgert wegen Lilith, oder? Ich
kann es einfach nicht fassen, dass du sie befreit hast!“
„Dass du das nicht
verstehst, kann ich mir gut vorstellen. Du hättest wahrscheinlich tatenlos
dabei zugesehen, wie deine Mutter im Knast in Necare verendet. Es war richtig,
dass er sie befreit hat. Mit seinem Vater ist darüber alles geklärt. Außerdem
ist Devil für ihn ja nicht ganz unwichtig. Er hat ihm darum offiziell gestattet,
Lilith nach Incendium zurückzubringen. Außerdem hat er versprochen, sie in Ruhe
zu lassen“, mischte sich Banshee ein.
„Ich finde es ganz
schön dreist von ihr, dass sie hierher zurückgekommen ist. Nach allem, was sie
getan hat. Sie ist immerhin einfach geflohen und hat sich jahrelang versteckt. Wäre
ich der Kaiser, hätte ich ihr nicht gestattet zurückzukehren. Aber so, wie es
aussieht, wollte sie das auch gar nicht, oder? Es ist ja nicht so, als hätte
sie nicht selbst aus dem Gefängnis entkommen können.“
Devil reagierte
noch immer nicht. Ich hatte nicht alles nachvollziehen können, doch zumindest das
eine oder andere verstanden. Er war es also tatsächlich gewesen, der Lilith
befreit hatte. Diese Erkenntnis machte mich ungemein froh. Ich hätte es nicht
verstanden, wenn er sie einfach im Gefängnis sich selbst überlassen hätte.
Ich war noch immer
ganz in Gedanken versunken und darum unachtsam. Viel zu spät merkte ich, wie
etwas unter mir wegbrach. Es gab ein krachendes Geräusch und der Felsboden
löste sich auf. In meinem Kopf begann alles zu kreischen. Wir waren inzwischen
so hoch, dass ich einen Sturz in die Tiefe niemals überleben würde. Ich spürte
den Fall, den Schrei, der sich aus meiner Kehle wand, und in letzter Sekunde
eine kräftige Hand, die meinen Arm packte. Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen
die Brust. Alles drehte sich vor meinen Augen, doch einen Gedanken konnte ich
wenigstens greifen und verstehen: Ich war in Sicherheit.
Ich blickte voller
Erleichterung und Dankbarkeit nach oben, doch das war nicht das Gesicht, das
ich zu sehen erwartet hatte. Stattdessen blickte ich Marid entgegen, der
weiterhin meine Hand hielt. Langsam zog er mich hinauf, während mir bewusst
wurde, dass er mir gerade das Leben gerettet hatte. Ich sank zitternd zu Boden
und Devil war sofort bei mir.
„Hast du dich
verletzt?“
„Nein“, antwortete
ich mit unsicherer Stimme. Danach sah ich Marid an. „Danke.“
Es war seltsam,
einmal nicht dieses schelmische Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen. Er beugte
sich zu mir hinunter und ich erkannte echte Besorgnis.
„Nichts zu danken,
ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist. Zum Glück konnte ich dich
gerade noch festhalten.“
Ich war verwundert,
dass ausgerechnet er mir geholfen hatte. Allerdings spielte das erst mal keine
Rolle. Ich war einfach nur erleichtert.
Devil half mir auf,
doch mein Blick ruhte weiterhin auf Marid. Er war mir ein absolutes Rätsel.
Einerseits so hasserfüllt, kalt und voller Wut, doch es schien auch eine andere
Seite in ihm zu geben. Erst die ehrliche Betroffenheit, als er Banshees Pulver
verschüttet hatte, und nun meine Rettung. Was ging wirklich in ihm vor und
warum assoziierte ich mit ihm immer wieder den Tod?
Als wir
weitergingen, zitterten meine Beine noch immer. Ich versuchte nun, so viel
Abstand wie möglich zwischen mir und dem Abgrund zu halten. Ständig blickte ich
verstohlen in die Tiefe. Ich konnte dort unten einen Wald erkennen, das Grün
der Wiesen …
Ein eisiger Wind
wehte uns entgegen und strich heulend über die Felsen. Hoffentlich konnten wir
diesen Berg bald hinter uns lassen. Ich wollte nicht noch einmal den Boden
unter mir wegbrechen spüren. Ich fühlte, dass sowohl Devil als auch Marid mich
beide ständig im Auge behielten und sich bemühten, in meiner Nähe zu bleiben,
um mir notfalls erneut helfen zu können. Ich versuchte, meine Angst
hinunterzuschlucken und mich möglichst normal zu verhalten. Banshee schien die
Höhe dagegen nichts auszumachen, denn sie ging mit festen, sicheren Schritten
vor uns her. Wie gerne hätte ich dasselbe auch von mir gesagt.
Sogar, als wir zu
einer besonders schmalen Stelle gelangten, kletterte sie mühelos vorbei. Als Nächstes
war ich an der Reihe.
„Ich gehe vor und helfe
dir“, sagte Devil.
Er kletterte an der
Felswand entlang, war bereits nach wenigen Schritten auf der anderen Seite
angekommen
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