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Vertrau deinem Herzen

Vertrau deinem Herzen

Titel: Vertrau deinem Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Wiggs
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kindliche, spielerische Seite an sich, die Aaron liebte. Sie kabbelten sich wie Geschwister, was für Kate zugleich ungewöhnlich und ... total normal war.
    Auch wenn sie am liebsten rausgegangen wäre und bei was auch immer die beiden sich wieder ausgedacht hatten mitmachen würde, hielt Kate sich zurück. Ihr Artikel über Walter Livingston war kein Lückenfüller oder Nachruf, sondern würde als Titelstory veröffentlicht, sich über mehrere Seiten erstrecken und mit vielen Fotos bebildert werden. Einige davon würden aus dem Smithsonian-Kr- chiv kommen, andere würde sie beisteuern. Der einzigartige Blickwinkel, den Tanya so gerne haben wollte, war ihre persönliche Sicht auf ihren Großvater. Was den Umweltschutz betraf, hatte er Großes geleistet und ein intaktes Erbe hinterlassen. Doch in dem Text sollte es mehr um seine persönlichen Qualitäten gehen – die Tiefe seines Engagements, seiner Verpflichtung an die Sache und die Menschen, die ihm am Herzen lagen. Kate wollte, dass die Welt wusste, wie er das geschafft hatte.
    Das hoffte sie zumindest.
    Oh Kate! dachte sie. Fang jetzt nicht an, an dir zu zweifeln. Das hier ist deine Chance! Um sich zu motivieren, blätterte sie noch einmal durch die E-Mails, die sie in der Bücherei ausgedruckt hatte. Drei andere Chefredakteure fanden ihren Lebenslauf beeindruckend und ihre Themenvorschläge interessant. Wenn sie mit dem Artikel über Waiden fertig war, standen ihr also schon neue Chancen offen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie vielleicht sogar ein ordentliches Einkommen aus ihrem neuen Beruf beziehen.
    „Also dann Schluss jetzt!“, murmelte sie. Das Problem war, dass sie den Artikel schon mehrere Male abgeschlossen hatte. Dann hatte sie ihn noch einmal überarbeitet. Und noch einmal. Sie legte die Finger auf die Tastatur und schrieb den Anfang zum x-ten Mal um. „Er wuchs in der unberührten Schönheit eines urzeitlichen Regenwaldes auf, ohne zu wissen, dass er sein privilegiertes Leben der Zerstörung ebendieser Wildnis zu verdanken hatte, die er so sehr liebte.“
    Kate stellte fest, dass sie mit drei Mausklicks einen ganzen Satz markieren und mit einem weiteren Tastendruck komplett löschen konnte. Puff, weg war er.
    Das war natürlich nicht mit dem Drama zu vergleichen, das es bedeutete, ein Blatt Papier schwungvoll aus der Schreibmaschine zu reißen und zu einem kleinen Ball zu zerknüllen, den man dann frustriert neben den Papierkorb werfen konnte. Aber zumindest schützte es die Bäume. Das hätte dem alten Waiden sicher gefallen.
    Sie dachte an die anderen Autoren, die sie kannte und die ihr Heil in der Arbeit als Freelancer gefunden hatten. Sie hatten über die Leidenschaft gesprochen, die einen mit seinem jeweiligen Thema verband. Über die Unfähigkeit, einen Artikel als fertig zu betrachten, solange er sich noch in ihren Händen befand. Über den Drang, ihn unbedingt fertigstellen zu wollen.
    Wieso verspürte sie nichts davon?
    Sie wechselte zu einer Partie Solitär, die sie gewann, ohne nachzudenken.
    Okay, rief sie sich zur Ordnung. Zurück an die Arbeit. Sie zwang sich, sich auf ihren Großvater zu konzentrieren. Er war so lebendig, so inspirierend gewesen. Warum konnte sie ihn für ihre Leserschaft nicht zum Leben erwecken? Was war mit ihr los, dass sie nicht über einen Mann schreiben konnte, der zu seiner Zeit ein Held gewesen war?
    Sie betrachtete das Foto von ihm, dass sie sich zu Motivationszwecken auf den Schreibtisch gestellt hatte. Das Bild war ein langsam vergilbender Kodak-Farbabzug aus dem Jahr 1979. Kate stand auf einem gefällten Baumstamm, der mindestens einen Meter fünfzig Durchmesser hatte. Er war zum Zuhause für Farne und Moos geworden und auch für andere Bäume, die ihre Wurzeln um ihn schlangen. Auf dem Boden neben ihr standen Waiden und Charla, die mal in einem Marlon-Brando-Film mitgespielt hatte. Sie hatte immer noch einen gewissen Star-Appeal, sogar auf einem ganz gewöhnlichen Schnappschuss. Ihr Lächeln war echt, ihre Pose natürlich. Das gesamte Bild wurde jedoch von Waiden beherrscht, wie alle Fotos mit ihm. Obwohl er links von der Mitte stand und eher zu Kate als in die Kamera schaute, zeigte er eine beeindruckende Präsenz, strahlte Kraft und Energie aus. Kate selber – Karottenkopf Kate, wie er sie immer genannt hatte – sah so unschuldig glücklich und sorglos aus, wie es nur ein Kind kann, das seinen Sommer am See verbringt.
    Jetzt wusste sie, warum sie diese Gefühle nicht für den Artikel einfangen

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