Vertrau mir deine Sehnsucht an (Der romantische Liebesroman) (German Edition)
Ich... möchte Sie nicht aufhalten."
"Sie sind ohnehin der letzte Patient", antwortete Michael und fühlte sich seltsam glücklich bei ihren Worten. "Ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Eine knappe Stunde habe ich Zeit, dann muss ich weg. Es hat sich heute alles gefügt. Simone hat extra weniger Termine ausgemacht, damit ich rechtzeitig fertig bin, und dann waren heute fast nur einfache Erkrankungen, die nicht so viel Zeit in Anspruch genommen haben. So kann ich mich Ihnen widmen. Wie geht es Ihnen, Stefanie?"
"Vater ist plötzlich so ganz anders", begann sie zu erzählen. "Er ist meist geistesabwesend, nimmt mich gar nicht wahr. Wenn ich mit ihm rede, bekomme ich oft nicht mal eine Antwort. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Kann es sein, dass sein Gehirn..." Verlegen hielt sie inne.
Michael schüttelte den Kopf. "Ich kann es mir nicht vor-stellen", antwortete er nach kurzer Überlegung. "Als ich mich mit ihm unterhalten habe, machte er einen sehr klugen Eindruck. Haben Sie inzwischen etwas bemerkt in Bezug auf seine Beweglichkeit?"
Bedrückt schüttelte Stefanie den Kopf. "Gestern hat er sich im Garten mit unserer neuen Nachbarin unterhalten. Das erzählte er mir am Abend, als ich vom Einkaufen zurück kam. Ich merkte, dass sie ihm gut gefällt. Aber dann kam gleich wieder der Zusatz: Was kann ich als Krüppel schon einer Frau bieten. Er glaubt, alle sehen ihn mit seinen Augen."
"Vielleicht bedeutet die neue Nachbarin eine Hoffnung für Sie und vor allem auch für seine Genesung", überlegte Micha-el. "Sie sollten öfter ein Treffen zwischen den beiden arrangieren."
"Fragt sich nur, ob ich Melanie damit einen Gefallen tu-e", gab die Besucherin zu bedenken. "Melanie hat selbst schon ziemlich viel mitgemacht in ihrer ersten Ehe. Ich glaube, ich würde ihr einen Bärendienst erweisen, wenn ich versuchen würde, sie mit meinem Vater zusammen zu bringen."
"Aber das müssen Sie doch gar nicht", widersprach der Or-thopäde. "Außerdem liegt so etwas ohnehin nicht in Ihrer Hand. Wenn die beiden sich sympathisch sind, dann werden sie sich treffen, auch ohne Ihr Zutun. Aber ich könnte mir vor-stellen, dass schon ein Traum oder ein Gedanke Ihren Vater beflügeln könnte. Seine Frau, Ihre Mutter, ist tot. Welche Zukunftsperspektive hat er denn noch? Also lässt er seine Verzweiflung an Ihnen aus."
Stefanie dachte eine Weile nach. "Sie könnten Recht haben, Herr Doktor", antwortete sie etwas verwirrt.
"Hatten wir uns nicht auf unsere Vornamen geeinigt?", fragte der Arzt schmunzelnd. "Ich muss gestehen, Stefanie, Sie sind mir seit meinem ersten Besuch in Ihrem Haus nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Sie sind ein tapferes Mädchen, liebevoll, sanft und geduldig. Solche Frauen findet man nicht jeden Tag."
Stefanie errötete bei seinen Worten. "Mein Vater sagt, ich sei eine verbissene alte Jungfer, würde hässlich aussehen und verbittert. Ich muss zugeben, ein Blick in den Spiegel hat einen Großteil seiner Beschreibung meiner Person bestätigt." Sie versuchte ein Lachen, das jedoch kläglich misslang.
"So ein Unsinn." Ärgerlich furchte der Arzt die Stirne. "Ich glaube, ich muss mit Ihrem Herrn Vater ein ernstes Wort reden. Er schlägt die Hand, die ihn versorgt. So etwas ist in höchstem Maße schändlich."
"Bitte nicht", fuhr Stefanie erschrocken auf. "Ich... wollte eigentlich auch nur das Rezept holen, mich nicht über meinen Vater beklagen", fügte sie mit zitternder Stimme hin-zu. Sie erhob sich hastig.
Michael stand ebenfalls auf und trat auf die junge Frau zu. "Jetzt habe ich Sie vertrieben, Stefanie", meinte er sanft. "Das wollte ich nicht. Sie müssen sich helfen lassen, wenn Sie nicht zugrunde gehen wollen. Damit wäre niemandem ein Dienst erwiesen, am allerwenigsten Ihrem Vater. Lassen Sie mich mit ihm reden."
"Vielleicht irgendwann mal. Ich werde es Ihnen sagen."
Michael lächelte, aber seine Augen blieben ernst. "Dann werde ich wohl nicht mehr da sein. So gut ist meine Menschenkenntnis, dass ich jetzt schon sagen kann, wie Sie handeln werden. Sie werden weiter dienen und sich mit Worten von Ihrem Vater prügeln lassen. Aber ich darf mich da nicht einmischen. Ich möchte nur nicht, dass Ihnen etwas geschieht. Bitte, sagen Sie mir, wenn ich helfen kann."
Stefanie nickte. Mühsam kämpfte sie gegen die aufsteigen-den Tränen. Jahrelang hatte sie ihren Kummer und ihre Ver-zweiflung mit sich allein abgemacht.
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