Vertraute Schatten
Empfänglichkeit der Vampire für menschliche Gedanken war für sie eine neue Erfahrung. Es kostete sie einige Anstrengung, den Lärm um sich herum auszublenden und ihre Aufmerksamkeit auf das zu richten, was vor ihr lag.
Langsam kam sie innerlich wieder zur Ruhe. Erleichtert atmete sie auf, dann konzentrierte sie sich auf das, was ziemlich sicher als Sackgasse enden würde. Besonders wichtig war ihr aber, Damien Tremaine zu beweisen, dass er nicht der Einzige war, der etwas vom Jagen verstand.
Sie schlüpfte in die schmale Gasse zwischen den beiden Gebäuden und verschmolz völlig mit dem Schatten. Das Dröhnen der Bässe war hier überraschend stark gedämpft, und urplötzlich hatte sie das untrügliche Gefühl, beobachtet zu werden.
Damien
. Natürlich war er es. Wahrscheinlich hockte er irgendwo versteckt, beobachtete sie und bog sich vor Lachen.
Stirnrunzelnd ging sie weiter. Mit jedem Schritt wurde der Rest der Welt unwirklicher. Hier war es unheimlich, ob sich nun Damien irgendwo in der Nähe auf ihre Kosten lustig machte oder nicht. Ihre Sinne schärften sich, ihre Atmung verlangsamte sich. Alles, was sie all die Jahre über Kämpfe gelernt hatte, jede Einzelheit, die sie nie anwenden zu können gefürchtet hatte, war schlagartig wieder präsent.
Und immer noch fühlte sie diese Augen auf sich gerichtet.
Völlig geräuschlos erreichte Ariane die Stelle, wo sie ins Haus eindringen wollte – ein offenes Fenster ohne Fensterbrett in halber Höhe des Gebäudes. Die Vorhänge bewegten sich leicht, entweder vom Wind oder von einer Bewegung im Inneren des Hauses. Damien wäre einfach hineingesprungen. In seiner Katzengestalt, die in Größe und Geschmeidigkeit eher einem Panther glich, hätte er es locker geschafft, wenn er schon einen Sprung aus dem vierzehnten Stock ohne Kratzer überstehen konnte.
Sie würde da etwas mehr Mühe haben.
Ariane schaute sich um. Sie befand sich in einer denkbar schlechten Position, da sie selbst niemanden sah, es hier aber massenhaft Verstecke gab, von denen aus man sie beobachten konnte. Trotzdem, wenn sie nun mal hineinwollte …
Aus ihrem Rücken entfalteten sich die Flügel, glitten wie Wasser durch Haut und Kleidung und nahmen schließlich feste Gestalt an. Ariane entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. In der Wüste durfte sie die Flügel wenigstens zur Schau stellen, ausbreiten und strecken, auch wenn man ihr verboten hatte, irgendwohin zu fliegen. Sie hier ständig zu verbergen war mitunter anstrengend. Aber nicht einmal jetzt konnte sie gegen das Gesetz der Grigori verstoßen: Kein Außenstehender, sterblich und unsterblich, durfte je von ihren Flügeln erfahren.
Innerlich gestärkt sprang Ariane hoch, immer höher, schraubte sich dank der Kraft ihrer Flügel, die denen von Fledermäusen ähnelten und die das dunkle Violett der Dämmerung widerspiegelten, senkrecht nach oben. Locker landete sie auf der Fensterbank, hielt inne, um die Flügel wieder einzufahren, und schlüpfte dann in das Gebäude.
Damien stand lässig an der gegenüberliegenden Wand eines Raums, der früher einmal ein Wohnzimmer gewesen sein musste, jetzt aber außer abblätternden Tapeten und einem verkratzten, dreckstarrenden Holzfußboden nichts mehr zu bieten hatte. In den Ecken lagen ein paar leere Verpackungen und gebrauchte Spritzen.
Bei seinem Anblick schlug ihre Angst in Wut um. Ganz offensichtlich hatte er extra gewartet, um sie verspotten zu können. Sie trat vom Fenster weg und marschierte auf ihn zu.
»Bevor du auch nur einen Piep machst«, drohte sie ihm, »denk dran: Ich habe das Schwert dabei, das dir so gut gefällt. Also, wo ist er?«
Im gleichen Moment wusste sie, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Damiens Körperhaltung, die sie zunächst als Zeichen der Missachtung gedeutet hatte, besaß etwas Unnatürliches. Als würde ihn etwas halten …
Plötzlich fing sein Körper an, hin und her zu schwingen, als er sich zu bewegen versuchte. Entsetzt riss Ariane die Augen auf. Gleichzeitig vernahm sie ein gedämpftes Röcheln. Und hinter ihr knallte das Fenster zu.
»So viele Jäger auf der Pirsch«, sagte eine leise Stimme in ihrem Rücken. »Der Shade ist unwichtig … aber um dich wird es mir leidtun, Schwester von meinem Blut.«
Sie wirbelte herum, erhaschte gerade noch einen kurzen Blick auf violette Augen, die den ihren glichen, dann holte sie ein Schlag gegen den Schädel von den Füßen und schleuderte sie gegen die Wand. Benommen glaubte Ariane, einen Schrei
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