Verwechseljahre: Roman (German Edition)
weiteren Versuche, Dich an diesem Tag zu erreichen, blieben erfolglos. Ich muss leider morgen in aller Frühe aufbrechen und werde diesen Brief noch am Flughafen in Hamburg einwerfen. Das Foto ist schon etwas älter, aber ich finde auf die Schnelle keines, das ich so einfach hergeben möchte. Es ist ein »offizielles«, aber ist unsere »Beziehung« nicht auch »offiziell«?
Ich ließ das lange Schreiben sinken und holte tief Luft.
Wie habe ich Dich nun gefunden?, las ich weiter. Aus den Adoptionsunterlagen ging Dein Name hervor und die Entbin dungsklinik, in der ich geboren wurde. Da Du offensichtlich nicht mehr geheiratet hast, war es relativ einfach, Dich zu finden. Als guter Journalist habe ich gründlich recherchiert und kam so an Deine jetzige Adresse. Da Du tagelang nicht zu erreichen warst, habe ich beim Einwohnermeldeamt die Nummer Deines Nachbarn herausbekommen. Ein sehr netter, hilfsbereiter Mann übri gens, der Dir ja nahezustehen scheint. Und siehe da, es hat mit dem Rückruf sofort geklappt! Grüße den freundlichen Herrn Frohwein bitte von mir.
Ich mache mir natürlich auch Gedanken, wie unser weiterer Kontakt aussehen soll. Mein Vater hat Angst, Du könntest irgendwelche Ansprüche an mich stellen. ›Als alleinlebende ältere Frau‹, hat er gesagt, ›wird sie jetzt jedes Weihnachten bei uns unterm Baum sitzen wollen.‹
Ich schluckte. Das war ja nicht gerade liebevoll formuliert. Andererseits: Was hatte ich denn erwartet?
Ich habe Vater beruhigt und ihm erklärt, dass Du keinerlei Rechte anmelden wirst, auch keine moralischen. Denn Du hast mich ja »unwiderruflich« in die Obhut meiner Eltern gegeben und Dich damit für immer von mir losgesagt .
Das gab mir wieder diesen schrecklichen Stich ins Herz. Ja, das hatte ich! Diese Schuld trug ich seit dreißig Jahren mit mir herum! Warum fragte er in seinem Brief nicht nach dem »Warum«?
Dennoch, so schloss Oliver, nein, Roman, denn dieser Mann war mir einfach fremd, sein Schreiben: Dennoch möchte ich uns beiden die Chance geben, einander kennenzulernen. Vielleicht sind wir uns sogar sympathisch? Dass das erst mal ganz unverbindlich bleiben soll, wirst Du sicher verstehen. Ich bin jetzt auf unbestimmte Zeit verreist, aber wenn ich heil zurück bin, werde ich mich wieder bei dir melden. Nun kommt ja auch bald mein drittes Kind zur Welt, und ich werde alle Hände voll zu tun haben, beruflich wie privat! Also lass mir Zeit, ich melde mich. Wenn ich sarkastisch sein wollte, würde ich sagen: Nun kommt es auf ein paar Wochen oder Monate auch nicht mehr an ☺ .
Bis dahin wünsche ich Dir einen schönen Sommer
Roman
10
S onja sah hinreißend aus. Sie hatte sich bei einem namhaften Münchner Spezialisten neue Haarverlängerungen machen lassen, für eine unvorstellbare Summe, und diesmal war die Pracht gelungen. Eine sanfte blonde Mähne fiel, ähnlich wie bei Vivian, wallend bis fast zu den Hüften. Nur wenn man ganz genau hinsah, konnte man die Lötstellen entdecken, besonders wenn Sonja sich einen kecken Pferdeschwanz gemacht hatte, um Vivian noch ähnlicher zu sehen. Denn dann sah man am Hinterkopf die kleinen schwarzen Punkte, an denen die Inderinnenhaare klebten. Mutter hätte sie wahrscheinlich für Läuse gehalten. Sie stammte noch aus der Generation, in der man keine Lötstellen, aber dafür Läuse auf dem Kopf hatte. Aber wer schaute schon so genau hin?! Wir Freundinnen jedenfalls nicht. Immer wieder versicherten Billi und ich der Strahlenden, wie wundervoll sie aussehe, wie jung und frühlingsfrisch und Vivian täuschend ähnlich. Genau das wollte sie nämlich hören. Und diese blöde Nicola, mit der Holger durchgebrannt war, könne sich sowieso gehackt legen.
Ihre Wechseljahre machten gerade Pause, so wie auf heftige Herbststürme noch mal milde, sonnige Tage folgen, bevor der entsetzliche Winter hereinbricht.
Sonja tanzte glücklich in ihrem Spiegelsaal herum: »Holger werden die Augen aus dem Kopf fallen!«
»Ja«, pflichteten wir ihr bei. » Wenn er dich sieht!«
»Der WIRD mich sehen! Auf allen Plakaten, in allen Zeitschriften, in allen Talkshows!«
Wir sahen uns ratlos an: »Inwiefern?«
Wollte sie eine Bank ausrauben, nur um Holger wieder auf sich aufmerksam zu machen und die fade Nicola auszu stechen?
»Manni will eine Fitness- DVD in meinem Studio drehen!« Sonja wirbelte einmal um die eigene Achse und küsste eine Fünf-Kilo-Hantel. »Natürlich mit mir in der Hauptrolle!«
»Oh.« Billi und ich sanken auf zwei riesige
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