Verwechslungsspiel in Griechenland
auf den Landrover zugelaufen.
“Poppy!”, rief Ria überrascht.
Ihr Ausruf ging jedoch unter, weil Dimitrios im gleichen Moment laut seinen Neffen begrüßte. Er sah Ria kurz besorgt von der Seite an, dann hatten die beiden anderen sie erreicht. Aufgeregt redeten sie durcheinander, die Hunde bellten wie verrückt, und im hell erleuchteten Hauseingang stand Christina, schwer auf ihren Stock gestützt. Sie sah aus, als wäre sie seit dem Vormittag um zehn Jahre gealtert.
Was nun folgte, sollte Ria nie mehr vergessen. Poppy und Nikos schienen anfangs überhaupt nicht zu merken, dass etwas nicht stimmte. Lachend und völlig zusammenhanglos gaben sie verworrene, schier endlose Erklärungen ab, bis Ria am liebsten geschrien hätte. Stumm und elend wie ein zum Tode verurteilter Verbrecher saß sie dicht neben Christina auf dem Sofa. Nur zu deutlich war sie sich der großen, schweigsamen Gestalt bewusst, die unbewegt auf der anderen Seite des Zimmers stand und unverwandt ihr Gesicht betrachtete.
Schließlich erstarb Poppys schrille Stimme, und es wurde völlig still im Raum. Sogar die Hunde gaben Ruhe.
“Du hinterhältige kleine Lügnerin!” Der Sturm brach mit solcher Gewalt über Ria herein, dass alle außer ihr erschrocken aufsprangen. Schweigend hatte Dimitrios den Raum durchquert und sich vor ihr aufgebaut, die Hände zu Fäusten geballt, die Lippen fest zusammengepresst, und seine dunklen Augen schienen Feuer zu sprühen.
“Wie konntest du mich so betrügen! Du hast von Anfang an nur gelogen!”
“Es tut mir leid!”, flüsterte Ria. Vor Angst wagte sie den Blick kaum zu heben. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Christina sich schützend neben sie stellte.
“Es tut dir leid? Ist das alles?”, fuhr er sie an. Dann überschüttete er sie mit einer Flut bitterster Beschimpfungen, und obwohl er bald in seine Muttersprache verfiel, war der Sinn seiner Worte nicht misszuverstehen.
“Ich habe noch nie einen Gast gebeten, mein Haus zu verlassen, aber jetzt tue ich es. Du wirst Griechenland mit dem nächsten Flugzeug verlassen!” Den letzten Satz sagte er so fest und kalt, als hätte er alle Gefühle verausgabt.
Endlich hob Ria das tränenüberströmte Gesicht, und als sie Dimitrios’ hasserfülltem Blick begegnete, stockte ihr fast der Herzschlag. Warum hatte sie ihm nicht früher alles gestanden? Weshalb war sie nur ein solcher Feigling? Dass er die Wahrheit vor allen anderen erfahren hatte, machte es für ihn noch schlimmer.
Nach einem letzten verächtlichen Blick auf ihr Gesicht wandte er sich Nikos zu, der beschützend den Arm um die blasse, entsetzt wirkende Poppy gelegt hatte. “Ihr beiden kommt morgen um neun Uhr in mein Büro! Ihr habt mir einiges zu erklären. Ich hoffe nur, dass ihr es könnt.”
Er drehte sich um und ging hinaus. Christina stöhnte leise auf und folgte ihm mit unsicheren Schritten. Auch sie hatte Tränen in den Augen.
Als Ria endlich in ihrem Zimmer allein war, setzte sie sich aufs Bett und betrachtete sich wie erstarrt im Spiegel. So verzweifelt hatte sie sich bisher erst einmal gefühlt, damals vor vielen Jahren, als ihre gesamte Familie mit einem Schlag ausgelöscht worden war. Ria erinnerte sich noch gut an die junge, freundliche Polizistin, die ihr die Nachricht von dem Unfall überbracht hatte, und daran, wie hartnäckig sie die Frau ausgefragt hatte, bis diese endlich zugeben musste, dass alle tot waren, am helllichten Tag durch einen betrunkenen Autofahrer ums Leben gekommen.
Damals hatte Ria sich geschworen, nie mehr jemand so sehr zu lieben, sich nie mehr so verletzen zu lassen. Und es war ihr gelungen, jahrelang hatte sie einsam und zurückgezogen gelebt, bis ein großer, dunkler, fremder Mann in ihr Leben eingebrochen war und all ihre Schutzmauern rücksichtslos niedergerissen hatte.
“Ich hasse ihn!”, sagte sie zu dem totenblassen Mädchen im Spiegel. “Ich hasse ihn!” Doch es war nutzlos, sie konnte sich nicht belügen. Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Und jetzt sollte sie abreisen und so weiterleben, als sei nichts geschehen? Wie sollte sie das ertragen?
Trotz der Wärme fröstelte sie plötzlich und verbarg das Gesicht in den zitternden Händen. Sie konnte den Anblick ihres Spiegelbilds nicht länger ertragen. Lange blieb sie so sitzen, während endlose, nutzlose Selbstvorwürfe sie quälten, bis sie sich schließlich erschöpft aufs Bett legte, eng zusammengekauert wie ein kleines, gehetztes Tier.
6. KAPITEL
“R ia! Ria, mach auf!” Immer
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