Verwesung
Riegel leise zurückzuschieben, doch in der Stille hallten sie wie Schüsse. Er zog seine Waffe und öffnete gleichzeitig die Tür.
Kalte, feuchte Luft strömte in den Flur. Draußen war es stockdunkel. Der Strahl von Millers Taschenlampe prallte am dichten Nebel ab, der das ganze Haus einschloss. Ich spürte, wie Sophie meine Hand fester drückte.
«Dicht zusammenbleiben», sagte Miller und ging los.
Der Nebel verhüllte alles. Selbst Miller war nur ein dunkler Schatten, der sich vor dem Schimmer der Lampe abzeichnete. Auch jedes Geräusch wurde von den Schwaden aufgesogen, und lediglich das gedämpfte Knirschen unserer Schritte sagte mir, dass wir uns noch auf dem Pfad befanden. Als ich mich kurz zu Sophie umschaute, konnte ich kaum ihr Gesicht erkennen, obwohl sie direkt hinter mir war.
Quietschend zog Miller die Pforte auf, dann waren wir auf der Straße. Vor uns nahm der verschwommene Umriss ihres Wagens Form an, seine Lichter blinkten piepend auf, als er ihn entriegelte. «Okay, einsteigen.»
Ich schob mich neben Sophie auf die Rückbank des ausgekühlten Wagens. Cross schloss die Tür hinter mir und stieg vorne ein, während Miller bereits den Motor startete. Nachdemdie Zentralverriegelung mit einem dumpfen Geräusch aktiviert worden war, fuhren wir in den dichten grauen Nebel.
Niemand sprach. Steph Cross brummte kurz etwas in ihr Funkgerät und verstummte dann wieder. Miller beugte sich übers Lenkrad und versuchte, die Straße zu erkennen. Padbury lag hinter uns, aber man konnte unmöglich sagen, wo wir waren. Mir kam es vor, als würden wir über den Meeresboden fahren. Im Licht der Scheinwerfer schwirrte der Nebel wie Plankton, schemenhafte Konturen, die kurz auftauchten und gleich wieder verschwanden.
Trotz dieser Umstände hielt Miller, der mit vor Konzentration hochgezogenen Schultern hinterm Steuer saß, eine recht zügige Geschwindigkeit. Nach ein paar Kilometern ließ die Anspannung im Wagen allmählich nach.
«Was für ein Spaß», sagte Miller. «Alles okay bei Ihnen?»
«Wohin fahren wir?», wollte Sophie wissen. Sie klang erschöpft.
«Wir werden Sie in Polizeigewahrsam bringen. Nur vorübergehend, wie es dann weitergeht, können wir morgen klären.»
Offensichtlich hatten sie einen Notfallplan. Ich wartete, dass Sophie sich widersetzte, doch mittlerweile schien ihr alles egal zu sein. In der Dunkelheit des Wagens konnte ich nur sehen, wie sie sich den Kopf rieb.
«Sophie? Alles in Ordnung?», fragte ich.
«Ich werde nicht …», begann sie, und dann schrie Miller
«Scheiße!»
.
Im Nebel vor uns war plötzlich eine Gestalt aufgetaucht.
Ich konnte gerade noch ausgestreckte Arme und einenflatternden Mantel sehen. Sophie wurde gegen mich geworfen, als Miller bremste und das Steuer herumriss, allerdings zu spät. Statt den erwarteten dumpfen Aufprall zu erzeugen, löste sich die Gestalt in einen Wirbel aus Splittern und Fetzen auf. Etwas knallte gegen die Windschutzscheibe, tausend kleine Risse entstanden und nahmen Miller die Sicht. Wir kamen ins Schleudern, ich prallte gegen das Seitenfenster, während Miller krampfhaft versuchte, den Wagen unter Kontrolle zu bekommen.
Fast hätte er es geschafft. Er schlug ein Loch in die Windschutzscheibe. Kalte Luft strömte herein, Glasscherben flogen umher. Der Wagen schien sich kurz zu fangen, und ich hatte Zeit,
Gott sei Dank
zu denken. Dann gab es einen knirschenden Ruck, und alles neigte sich zur Seite. Einen Augenblick schienen wir in der Luft zu hängen, ehe etwas gegen mich krachte. In einem tosenden Durcheinander wurde ich herumgewirbelt und wusste nicht mehr, wo oben und unten war.
Dann war alles still.
Erst allmählich stellten sich wieder Geräusche und Empfindungen ein. Ein leises Ticken war zu hören, das gleichmäßige Getröpfel des Regens. Ich konnte ihn auf dem Gesicht spüren, genauso wie die kalte Luft, aber es war zu dunkel, um etwas zu sehen. Ich saß aufrecht, aber verdreht. Irgendetwas schnürte mir die Brust ein und machte mir das Atmen schwer. Ich tastete mit schweren und klammen Fingern danach und merkte, dass ich mit einem feinen Staub bedeckt war, den Resten der Airbags. Sie waren jetzt luftleer und hingen da wie blasse Zungen. Aber der straffgespannte Sitzgurt hielt mich eisern an meinem Platz. Ich suchte nach dem Verschluss, spürte dabei die scharfen Splitter undrutschte, als es mir gelang, den Gurt zu lösen, die Sitzbank hinab.
«Sophie?» Ich versuchte sie in der Dunkelheit zu sehen. Erleichtert merkte
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