Verwuenscht und zugenaeht
anderen ignorieren sie einfach. Erwarten die etwa, dass ich losrenne und alle Kaugummis allein wieder einsammle?
Ben verzieht den Mund. Genau wie der Rest der Klasse verkneift er sich offensichtlich das Lachen. Mrs Wickers verlangt glücklicherweise die Aufmerksamkeit zurück und fährt mit dem Unterricht fort. Meine Wangen werden so heiÃ, dass ich befürchte, sie würden jeden Moment in Flammen aufgehen.
Ich kann so nicht weiterleben. Ich muss herausfinden, wie ich den Wunsch rückgängig machen kann.
Den Rest der Stunde versuche ich mitzuschreiben und von Ben Abstand zu halten. Ich fühle mich richtig elend, als er diskret an seinen Achseln riecht. Wahrscheinlich denkt er, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Er darf die Wahrheit nie erfahren.
Auf dem Weg zum Geschichtsunterricht atme ich tief durch, um mich nach dem peinlichen Vorfall wieder zu beruhigen. Ich bin sehr erleichtert, als der Lehrer uns einen Film über Europa vorstellt, den wir uns in dieser Stunde ansehen werden. In den nächsten vierzig Minuten kann ich mir also in Ruhe einen Plan überlegen.
Das Licht geht aus und der Film beginnt. Nur mit halbem Ohr bekomme ich mit, dass es um die Geschichte Italiens geht und dass viele bedeutende Maler und Künstler aus Italien stammen.
Mein linker Platznachbar hebt die Hand. »Ãh, Mr Martin? Es sind keine Untertitel eingeblendet.«
Der Lehrer sieht von seinem Schreibtisch auf und nickt. »Tut mir leid, dauert nur einen Moment.«
Er klickt sich durch das DVD -Menü, schaltet die Untertitel ein und startet den Film erneut. Als der Sprecher seinen Monolog über die unschätzbaren Kunstwerke aus Venedig und Rom fortsetzt, stelle ich etwas Erschreckendes fest: Ich brauche die Untertitel gar nicht.
Ich verstehe Italienisch!
Ich habe noch nie einen Italienischkurs besucht. Ich habe höchstens mal im Olive Garden etwas auf Italienisch bestellt, wurde jedoch von der Kellnerin korrigiert, weil ich die Wörter falsch ausgesprochen hatte.
Aufmerksam lausche ich dem singenden Tonfall des Sprechers.
Elegante. Famoso. Rinomato. Il museo.
Es ist unfassbar, aber ich verstehe jedes Wort. Während meine Klassenkameraden angestrengt auf die Untertitel starren, schlieÃe ich die Augen und höre einfach zu.
Mein Vater hat uns vor sieben Jahren verlassen. Als die Scheidung rechtskräftig war, zog er sofort nach Italien. Seine Eltern leben immer noch dort und er hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Er hatte an einer amerikanischen Universität studiert und dort meine Mum kennengelernt.
Nach der Trennung ist er nicht einfach innerhalb der Stadt oder des Landes umgezogen, er musste gleich einen ganzen Ozean überqueren, um sich von uns zu befreien. Deutlicher hätte er nicht zeigen können, dass er uns als Familie nicht mehr haben wollte.
Ein Jahr nachdem er uns verlassen hatte, war mein gröÃter Wunsch, Italienisch zu beherrschen. Ich wollte ihn besuchen und ihm beweisen, dass ich auch in Italien leben könnte. Ich bildete mir ein, meine Sprachkenntnisse könnten alles zum Guten wenden, sodass er mir vielleicht sogar erlauben würde, bei ihm zu bleiben. Dann hätte ich genau wie er die doppelte Staatsbürgerschaft angenommen. Ich besorgte mir ein Italienischlehrbuch aus der Bibliothek, aber es war hoffnungslos und ich gab die Idee auf.
Ich erinnere mich noch an mein Schluchzen, als ich das Buch in den Rückgabekasten warf. Es brach mir fast das Herz zu sehen, wie es durch den Schlitz verschwand â und meine Hoffnungen gleich mit ihm. Ich war an der italienischen Sprache gescheitert und damit war mein Schicksal besiegelt. Ich würde meinen Vater niemals wiedersehen.
»Der Film ist keine Einladung zu einem Nickerchen, Miss McHenry.«
»Oh, Verzeihung!« Ich schlage die Augen auf und blicke direkt in das strenge Gesicht von Mr Martin. »Es ist nur so, äh, selten, dass ich das höre, äh, ich meine Italienisch. Ich habe nur zugehört.«
»Sie sprechen Italienisch?« Er sieht mich skeptisch an. Mr Martin gehört wahrscheinlich zu den Lehrern, die eine geheime schwarze Liste mit Namen von Schülern führen, die ihnen unangenehm aufgefallen sind. Im Moment mustert er mich auf jeden Fall, als hätte ich den Wasserhahn angelassen und sein Haus geflutet.
Ich nicke und räuspere mich. Entweder bilde ich mir das alles nur ein oder ich kann wirklich Italienisch. Ich muss es
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