Verwuenscht und zugenaeht
benehmen.
Nicht mehr!
»Gibt es sonst noch irgendwas?« Ich ziehe am Seil des Ponys und es trabt vorwärts.
»Ãhm, nein.« Er macht eine Pause und kaut auf seiner Lippe. »Ich liebe dich«, sagt er, doch es klingt eher wie eine Frage.
Betretenes Schweigen. Ich atme ruhig ein und aus und lausche in die Stille, während etwas in mir stirbt. Und dann blicke ich zu ihm auf und schüttle den Kopf. »Nein, das tust du nicht.«
Ich ziehe fester am Seil und das Pony folgt mir den Gehweg entlang. An der Ecke bleibe ich stehen und werfe ihm einen letzten Blick zu. Vielleicht liegt darin Mitleid, vielleicht auch Verachtung. Ich weià nicht, wie ich auf ihn wirke, denn ich bin mir nicht mal selbst über meine Gefühle im Klaren. Zumindest spüre ich weder Bedauern noch Schmerz. Und zum Abschied rufe ich ihm zu: »Wenn du mich lieben würdest, wenn du auch nur einen von uns lieben würdest, hättest du es längst gezeigt. Und weiÃt du was? Es spielt keine Rolle mehr. Ich brauche dich nicht.«
Er steht reglos auf der Veranda und sieht mich an. »Kayla â¦Â«
»Verschwende nicht meine Zeit. Ich werde mich auch nicht mit einem Auto kaufen lassen.«
Ich gehe weiter und das Pony trottet fröhlich hinter mir her.
Als das Haus aus meinem Blickfeld verschwindet, beginnt es zu nieseln. Vielleicht habe ich ihn mir gar nicht herbeigewünscht, damit er »Ich liebe dich« zu mir sagt. Vielleicht habe ich den Wunsch nur ausgesprochen, um mir endlich darüber klar zu werden, dass ich ihn im Grunde gar nicht brauche und mich nicht mehr mit ihm befassen muss. Doch das werde ich nie erfahren, denn ich kann die Zeit nicht zurückdrehen und mir selbst beim Wünschen zuhören. Letztendlich spielt es auch keine Rolle mehr, denn endlich weià ich, dass ich auch sehr gut ohne ihn zurechtkomme. Und das ist die beste Erkenntnis, die ich aus meinen Wünschen gewinnen konnte.
Auch wenn Ann und das Pony und Ken und alle anderen Wünsche am Montag verschwinden, eins wird ganz sicher bleiben: das Gefühl, unabhängig und frei zu sein.
Mein Glück hängt nicht von anderen ab. Ich muss nicht gebraucht, gemocht oder anerkannt werden. Mein Glück ruht in mir. Als Kind war ich glücklich. Erst als das Leben mit seinen Höhen und Tiefen begann, als sich alle von mir abwendeten, verlor ich die Kraft, glücklich zu sein. Aber jetzt hole ich sie mir zurück.
Und ich fange gleich heute damit an.
W ährend des Fotokurses an diesem Tag bin ich eifrig damit beschäftigt, aus meiner Fotoserie ein Selbstporträt zu machen. Ich stelle den VergröÃerungsapparat ein und belichte eines der Negative nur ein paar Sekunden auf Fotopapier. Dann tausche ich das Negativ gegen ein neues aus und belichte noch einmal.
Nachdem ich mindestens ein Dutzend Negative durch den VergröÃerungsapparat geschoben habe, lege ich das Fotopapier in die verschiedenen Schalen mit Entwicklerflüssigkeit und Fixierer, um es in ein fertiges Bild zu verwandeln.
Leider habe ich das Foto komplett überbelichtet, also starte ich einen neuen Versuch. Diesmal belichte ich die Negative nur halb so lange. Und damit erhalte ich die gewünschte Wirkung. Auf dem fertigen Bild erkennt man beim ersten Blick nur einzelne Farbkleckse. Betrachtet man es jedoch näher, werden die Einzelheiten sichtbar â die Schnürsenkel meiner Converse am unteren Rand, rechts und links die ausgefransten Enden eines Freundschaftsarmbandes, das Gesicht einer Barbiepuppe genau in der Mitte, teilweise verdeckt von einem T-Shirt auf einem Bügel, das ich nie getragen habe.
Dazwischen gibt es viele schwarze Stellen, die während der Ãberbelichtung entstanden sind. Durch das Ãbereinanderentwickeln so vieler Negative war das Fotopapier zu viel Licht ausgesetzt.
Ich betrachte das Foto eine Weile. Ob es Mr Edwards gefallen wird? Das Thema habe ich jedenfalls nicht verfehlt, denn dieses Bild stellt mich dar. Ich habe zugelassen, dass mich die Meinungen anderer in eine völlig andere Person verwandeln. Ich bin ein negativer und zynischer Mensch geworden. Ich habe keine Identität.
Dieses Foto, in all seiner hässlichen, chaotischen Schönheit, bin ich. Wenn es Mr Edwards nicht gefällt, muss ich damit leben.
Ich nehme mir ein zweites Fotopapier, aber darauf werde ich kein Bild entwickeln. Ich möchte, dass es ein leeres, glänzendes weiÃes Stück Papier
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